Kreis Mettmann „Gewaltmodelle oft daheim gelernt“

Interview Das Land möchte sich aus der Finanzierung der Arbeit mit Tätern zurückziehen, indem diese einen Teil der Kosten tragen.

Häusliche Gewalt zieht sich durch alle Schichten der Gesellschaft.

Foto: dpa/Maurizio Gambarini

Ist häusliche Gewalt ein gesamtgesellschaftliches Problem oder tritt sie eher in prekärem Umfeld auf?

Andreas Smolka: Sie ist definitiv ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Wir haben sowohl den Malocher, auch den der seit fünf Jahren Hartz-IV bezieht, als auch den Chefarzt der Uni-Kliniken. Allerdings rufen im Hochhaus die Nachbarn eher mal die Polizei, wenn sie Schreie hören. In der Eigenheimsiedlung hat man eher Hemmungen, vielleicht weil man vom Nachbarn noch die geliehene und nicht zurückgebrachte Kettensäge in der Garage hat. Wir haben hier alle Bildungs- und Bevölkerungsschichten und alle Nationalitäten und Altersgruppen. Acht bis zwölf Prozent der Täter sind Frauen. Und 47 (etwa 39 Prozent) von in den letzten Jahren durchschnittlich 120 Klienten pro Jahr haben einen Migrationshintergrund.

Was genau ist Täterarbeit?

Smolka: Es ist auf jeden Fall mehr als ein „gut, dass wir darüber gesprochen haben, das nächste Mal schlagen Sie bitte nicht mehr zu.“ Es ist anstrengend für Klienten und Berater, aber sinnvoll und effektiv. Ein Programm besteht aus Diagnostik, Risikoscreening und Opfergespräch, es umfasst meist fünf Einzelgespräche und 30 Gruppeneinheiten. Es geht um Selbstwahrnehmung und -kontrolle: Ich muss lernen, meine Körpersignale kennen zu lernen und bewusst wahrzunehmen. Ich muss merken, wann die Wut hochkocht. Wenn sich die ersten körperlichen Anzeichen für einen bevorstehenden Gewaltausbruch zeigen, muss man wissen, wie man aus der Nummer herauskommt. Und man spricht mit den Klienten über die Bilanz der Gewalt: Denn die Vorteile – ich habe mir Respekt verschafft, endlich herrscht Ruhe… – sind oft nur kurzlebig, die Nachteile wiegen schwerer und halten länger an – für den der Gewalt ausübt wie für den der sie erfährt. Ein weiteres Gesprächsthema ist das eigene Männerbild oder die Vaterrolle, denn viele der Klienten haben die Gewaltmodelle, die sie anwenden, meist zu Hause erlernt. Viele der Jungen, die sich einst geschworen haben, wenn sie groß sind, den prügelnden Vater zu verhauen, haben dann ihre Ehefrauen geschlagen.

Wie kriegt man denn so etwas wieder heraus?

Smolka: Wir machen viele Empathieübungen, Rollenspiele, in denen die Täter in die Haut der Opfer schlüpfen müssen. Wenn sie dann erleben, wie sich das Opfer fühlt, ist das oft prägender als jegliche theoretische Vorgehensweise. Viele Täter haben ihr Verhalten durch das väterliche Vorbild erlernt. Was man sich angewöhnt hat, kann man sich auch wieder abgewöhnen. Ein Problem ist, wenn hinter diesem gewalttätigen Verhalten eine manifestierte Sucht, wie Alkoholismus, steht. Dann gehört in den Notfallplan, dass man Alkohol tunlichst meidet oder besser noch eine Suchttherapie im Vorfeld oder begleitend zum Training der Fachberatung gegen häusliche Gewalt macht. Ich hatte mal einen Täter, der im Suff fast seine ganze Familie ausgelöscht hätte. Wenn der die anderen Gruppenmitglieder eindringlich warnt, vom Alkohol zu lassen, ist das viel wert.

Wie groß sind die Erfolgschancen, wenn die Täter vom Gericht die Auflage bekommen haben, an einem sozialen Trainingskursus teilzunehmen, das also nicht freiwillig tun?

Smolka: Etwa zwei Drittel der Täter kommen, weil der Staatsanwalt eine Gewaltberatung zur Auflage macht, andernfalls würde es zur Hauptverhandlung kommen. In diesem Jahr hatten wir im ersten Halbjahr allerdings 38 zugewiesene Klienten, von insgesamt 83. Es ist zuweilen schwer, mit diesen Menschen zu arbeiten. Da zeigen sich oft Widerstände. Ich muss dann gucken, ob da ein Mindestmaß an Willen ist, Verantwortung für die Tat zu übernehmen, die Tat vor sich einzugestehen, ob der Täter versteht, was passiert ist. Wenn ich jedoch erkenne, dass der Täter nach den Einzelterminen beratungsresistent ist, dann ist es für mich angesichts der knappen Ressourcen sinnvoller, mit den Menschen zu arbeiten, deren Veränderungswille deutlich erkennbar ist. Fünf Täter haben in diesem Jahr die Beratung abgebrochen.

Wie hoch ist das Rückfallrisiko?

Smolka: Laut einer Umfrage zum Thema Täterarbeit in Österreich, der Schweiz und Deutschland beträgt die Rückfallquote mit milderen Vorfällen als zuvor etwa 20 Prozent. Täter, die abgebrochen haben, haben ein Rückfallrisiko von 80 Prozent mit intensiveren Gewaltausbrüchen. Was viele, die freiwillig kommen, antreibt, ist, nicht so zu werden wie ihr Vater. Ein häufig genanntes Argument sind auch die Kinder. Ein Vater hat mir kürzlich gesagt, dass sich seine Frau ab und zu eine fängt, wie er es formulierte, komme vor, aber seine Kinder sollen keine Angst vor ihm haben. Er hatte dann nach einem Ehestreit erlebt, wie sich seine Tochter bei seinem Anblick hinters Bett gekauert hatte. Das war für ihn Grund genug, sich hin zu einem gewaltfreien Leben unterstützen zu lassen. Die seelischen Folgen für Kinder, die häusliche Gewalt miterlebt haben, sind bekannt. Die Wahrscheinlichkeit, an einer Depression zu erkranken, steigt auf 60,4 Prozent.