Kritik an Musik auf Weihnachtsmarkt
Auf dem Marktplatz in Langenfeld erklingen nicht nur klassische, weihnachtliche Melodien, sondern zunehmend auch moderne Lieder.
Langenfeld. Christa Muddemann schnuppert an ihrem weißen Glühwein. „Wie du siehst, bin ich keine Traditionalistin — weiß schmeckt er mir sogar besser als rot.“ Dass hinter ihr in der Glühweinbude auf zwei Flachbildschirmen Roger Cicero über die Bühne swingt, findet die 66-Jährige aber gewöhnungsbedürftig. „Roger Whittacker wäre mir lieber“, sagt die Baustoffhändlerin aus Berghausen. „Der hat schöne Weihnachtslieder im Repertoire.“ Ein Weihnachtsmarkt mit einem Klangteppich aus „O Tannenbaum“, „Alle Jahre wieder“ und „Ihr Kinderlein kommet“ — das war einmal. Internationale Ohrwürmer wie „Jingle Bells“, „White Christmas“ oder „Driving Home for Christmas“ sind längst mit hineingewebt.
Spätestens seit diesem Jahr fasert es auf dem Neun-Buden-Markt auf dem Langenfelder Marktplatz fast in die ganze Breite der Unterhaltungsmusik aus. Jazziges von Michael Bublé ist da zu hören, die allgegenwärtige (immerhin engelsgleiche) Helene Fischer oder auch Italo-Schmusi-Musi von Eros Ramazzotti. Zur Markteröffnung spielte eine Combo sogar Party-Mucke wie „Er gehört zu mir“ oder „Ein Bett im Kornfeld“. „Grauenvoll“, entfährt es einer Ü-40erin noch Tage später vor dem Crêpes-Stand: „Das gehört an den Ballermann, aber doch nicht auf einen Weihnachtsmarkt!“
Eine verärgerte Besucherin
Markt-Organisator Harry Paul Emil Bruch (31) sieht das nicht so eng. „Wir sind ein Weihnachtsmarkt für alle. Wir haben Familiäres im Programm, wie Weihnachtsmann, Kasperle oder erstmals die Rentiere, aber auch Unterhaltsames für das Abendpublikum. Die Leute wollen ein paar gesellige Stunden mit Freunden oder Kollegen verleben, und dazu gehört eben auch abwechslungsreiche Musik.“ Von „Kling, Glöckchen“ bis zum Langenfeld-Pop mit „Benefizgranate“ Michael Grimm an den Adventssonntagen ab 18 Uhr.
„Der Michael Grimm gefällt mir! Der bringt mit seiner Mitmach-Animation die Talente der Zuschauer zum Leuchten“, lobt Budengast Giovanna Himpeler (42). Aber Eros? „Nee, nicht zum Glühwein.“ Dabei fließt italienisches Blut durch ihre Adern. „Auch das Helene-Fischer-Double brauch’ ich nicht. Die sollten hier lieber den Gotthilf Fischer durch die Gassen schicken.“
Ihre Freundin Sandra Nolden (46), ebenfalls Halbitalienerin, fände sogar schöne Stellen aus Puccini-Opern passender als Allerweltsschlager: „Das ,Nessum dorma’ in ,Turandot’ wäre gar nicht verkehrt. Oder die Arie ,E lucevan le stelle’ aus ,Tosca’!“, schwärmt die Espresso-Äugige. Pavarotti oder Plácido Domingo gefiele auch ihrem Schoßhündchen „Barny“ besser. Wie zur Bestätigung ihrer Worte spitzt der Hund umgehend seine Ohren und kläfft den Swing aus der Hörkonserve grimmig nieder.
Und was sagt der Kirchenmusiker zu dem Weihnachtsmarkt-Gedudel? Sven Schneider (47), Kantor an der evangelischen Johanneskirche fast nebenan, nimmt die Vielfalt im Advent ziemlich gelassen: „Bei uns in der Kirche erklingen ,echte’ Advents- und Weihnachtslieder. Aber auf dem Weihnachtsmarkt suchen die Leute doch Geselligkeit und keine — sagen wir: komplizierte Vokalpolyphonie aus dem 16. Jahrhundert.“