Wieso können solche Taten so lange unentdeckt bleiben?
Langenfeld/Monheim „Zeit nehmen, dem Kind zuzuhören“
Langenfeld/Monheim. · Ein Gespräch mit der Vorsitzenden des Vereins Sag’s gegen sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen.
Die Kindesmissbrauchsfälle in Münster, Lüdge und Bergisch Gladbach sprengen alle Dimensionen. Auch in Langenfeld und Monheim gibt es Missbrauchsfälle. 2019 suchten 110 Kinder und Jugendliche den Rat von „Sag’s“, der Langenfelder Anlaufstelle gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Ein Gespräch mit der Vorsitzenden des Vereins, Cornelia Schuischel, und der Beraterin Nina Jares.
Cornelia Schuischel: Das hängt damit zusammen, dass Kinder so etwas nicht so schnell erzählen, und zwar aus Schuldgefühl und Scham. Die Kinder fühlen sich mitverantwortlich, weil sie beispielsweise mit dem Täter gespielt oder ein Foto von sich gepostet haben. Meist werden die Opfer auch gezwungen, das Geheimnis zu wahren, weil sonst ihnen oder ihren Eltern „etwas Schlimmes“ angedroht wird.
Nina Jares: Und häufig wird die Tat auch mit etwas Nettem belohnt, einem schönen Ereignis beispielsweise. Das verunsichert die Kinder.
Schuischel: Viele Kinder können das Geschehene auch gar nicht einordnen und denken, das ist vielleicht normal. Außerdem haben die Täter ein Gespür für nicht so selbstsichere Kinder oder jene, die Aufmerksamkeit suchen.
Wie verhalte ich mich als Nachbar oder Freund, wenn ich einen Verdacht habe? Es besteht immer die Möglichkeit, dass ich mich irre. Und das wäre schrecklich.
Schuischel: Auf keinen Fall spreche ich den Täter selbst an. Im Zweifel würde der noch mehr Druck auf das Opfer ausüben. Bei Verdachtsfällen sucht man eine Fachstelle auf. Für Langenfeld und Monheim sind wir das. Wir sind zu Verschwiegenheit verpflichtet und sprechen das weitere Vorgehen gemeinsam ab. Man kann sich auch anonym melden. Wir empfehlen, keinen noch so kleinen Verdacht unter den Teppich zu kehren, sondern mit uns zu besprechen. Vielleicht löst sich ja auch alles positiv auf.
Jares: Es ist auch sehr hilfreich,
Beobachtungen und Wortlaut-Zitate, die den Verdacht ausgelöst haben, aufzuschreiben und mitzubringen.
Welche Indizien gibt es beim Kind, die eindeutig auf Missbrauch schließen lassen?
Schuischel: Die Symptome sind sehr unterschiedlich. Manche Kinder reagieren schnell, andere erst später, manche werden plötzlich sehr anhänglich, andere sehr abweisend. Angst und Albträume können ein Indiz sein, Unkonzentriertheit in der Schule. Auch unangemessenes Reden über Sex oder Flirten wie Erwachsene, Aggressivität. All diese Verhaltensweisen können aber auch andere Gründe haben: die Trennung der Eltern, Stress mit der besten Freundin und so weiter. Auf jeden Fall sollte man sich als Erwachsener Zeit nehmen, dem Kind zuhören und es nicht bedrängen.
Wenn man hört, dass Väter sich an ihren Kindern vergehen und sie nicht schützen, fragt man sich: Was sind das für Menschen, die Täter? Wie erkennt man sie?
Schuischel: Das kann man nicht sagen und nicht erkennen. Die Täter finden sich in allen Altersgruppen und in allen Berufen und Bildungsschichten. Eine Täterstruktur ist an nichts festzumachen.
Wie wichtig ist die Früherkennung? Was bedeutet für die Opfer der Missbrauch als Kind im späteren Erwachsenenalter?
Schuischel: Je früher der Missbrauch aufgedeckt wird, desto größer ist die Chance, später ein ausgeglichenes, zufriedenes Leben zu führen – gerade in Partnerschaft und Sexualität. Wichtig ist, dass ein Kind das Gefühl hat: Ich kann alles erzählen, mir wird geglaubt und vor allem, ich habe keine Schuld. Auch wenn ich mich vielleicht risikoreich verhalten oder gegen ein Verbot der Eltern verstoßen habe.
Wer kommt eigentlich mit den betroffenen Kindern oder Jugendlichen zu Ihnen?
Schuischel: Das sind Eltern oder Elternteile, Omas und Opas, Erzieher und Pädagogen gleichermaßen.
Wie hilft nun „Sag’s“ den Opfern und Angehörigen?
Schuischel: Wir versuchen zuerst, im Gespräch Vertrauen aufzubauen, einander kennenzulernen. Wir sind keine Polizei und stellen keine Fragen. Stattdessen arbeiten wir mit einem Netzwerk an Fachpersonen, auf die wir in Absprache mit dem/der Betroffenen zurückgreifen können. Mitunter dauert die Betreuung mehrere Monate. Beispielsweise, wenn es eine Anzeige gibt und dann zur Verhandlung kommt. Wir gehen auch mit zum Gericht, wenn das gewünscht ist. Manchmal brauchen auch die angehörigen Erwachsenen Hilfe, die sie bei uns bekommen. Das Kind steht aber immer an erster Stelle, nicht die Tätersuche.