Wenn Enthauptete das Sprechen lernen

Im Stadtmuseum Langenfeld verleiht Ralph Gellwitzki der Frau aus dem Schädelkabinett gewissermaßen eine Stimme.

Langenfeld/Hilden. Menschen kennen — in natura — keine auf links gestülpten Gesichter. Keine, bei denen die Nase am tiefsten liegt und die Augenhöhlen hervorragen. „Deshalb“, sagt Ralph Gellwitzki, „haben wir beim Blick in eine Hohlmaske den Eindruck, sie schaue uns an, egal aus welchem Winkel wir sie betrachten“. Diesen Mona-Lisa-Effekt macht sich der Spezialist für Computeranimationen zurzeit für eine Auftragsarbeit des Langenfelder Stadtmuseums zunutze: Gellwitzki erweckt die junge Frau zum Leben, deren Schädel vor 53 Jahren bei Bauarbeiten an der Kölner Straße gefunden wurde. Der Kopf war mit einem 48 Zentimeter langen Eisennagel durchbohrt.

Foto: Ralph Matzerath

„Das wird eine Weltpremiere“, sagt Gellwitzki, und man glaubt es ihm, denn der 56-Jährige kommt bescheiden daher. In seiner Hinterhofwerkstatt an der Hildener Südstraße herrscht kreatives Chaos: Die Regale sind vollgestopft mit Videokassetten, Aktenordnern und technischen Geräten, vom Uralt-Videoschnittplatz bis zu einer mehrarmigen Konstruktion, die sich „Kamera-Entwacklungsgerät“ nennt. Bei Bill Gates in der Garage dürfte es damals ähnlich ausgesehen haben. „Möglich“, kommentiert Gellwitzki diese Bemerkung verschmitzt: „Nur dass ich 20 Jahre nach dem Einzug immer noch in der Garage stecke.“

Der Prototyp für die Weltpremiere steht schon in Gellwitzkis Werkstatt. Eine Hohlmaske aus Plastik, auf deren Positivseite das Gesicht einer Frau projiziert wird. Eine Video-Aufnahme, in der die Frau spricht. Und tatsächlich: Ihr Gesicht wirkt nicht nur plastisch, ihr Blick scheint einen auch zu verfolgen, egal, in welcher Richtung man sich bewegt.

„Holohead“ nennt Gellwitzki die Technik, die er demnächst als Marke eintragen lassen will. Zurzeit bearbeitet er ein Video für die Frau mit dem durchbohrten Schädel am Computer. Aufnahmen vom Gesicht einer blauäugigen Blonden. „Ein gar schreckliches Ende nahm mein Leben mit etwa 30 Jahren“, sagt die Hübsche auf dem Flachbildschirm. „Es mag anno 1700 gewesen sein, als ich auf einer Langenfelder Richtstätte enthauptet wurde.“

Warum, darüber rätselt die Forschung. Mögliche Erklärungen liefert das „Schädelkabinett“ im Langenfelder Stadtmuseum. In einer Vitrine findet sich eine Replik des Schädels (Original beim Rheinischen Landesmuseum Bonn), dazu eine Gesichtsrekonstruktion, die die Koryphäe Prof. Dr. Ursula Wittwer-Backofen (Uni Freiburg) anfertigte. Hatte die blauäugige Blonde ihren Mann vergiftet? Brachte sie ihr Kind um? Das sind Fragen, die auch die sprechende Hohlmaske stellen wird, wenn sie in ein paar Wochen Besuch im Schädelkabinett empfangen wird.

Dabei soll das Objekt in doppelter Hinsicht wirklichkeitsnah sein: als sprechende Frau und als Abbild der Originaltoten von etwa 1700 gemäß Freiburger Rekonstruktion. „Das ist Frickelarbeit“, sagt Gellwitzki. Und zwar vom Anfang bis zum Ende. So zerlegte er eine 3D-Version des rekonstruierten Gesichts am Computer zunächst in fünf Millimeter dicke Scheiben. Ausgedruckt, entstand daraus die Maske zum Anfassen, aus Balsaholz, wie es auch Flugzeugmodellbauer verwenden. Dieses Masken-Positiv wiederum legte der Hildener auf einen ebenfalls selbstkonstruierten Apparat, um die (negative) Hohlmaske aus durchsichtigem Kunststoff zu formen — mit Hilfe eines Staubsaugers im „Tiefzieh“-Verfahren.

„Bei der Videoaufnahme mit der Sprecherin ergab sich das Problem, dass sie beim Reden naturgemäß ihren Kopf etwas bewegt“, erzählt Gellwitzki. Also sägte er für sie einen Hinterkopf-Halter zur Stabilisierung aus. Die Sprecherin fand er über eine Profi-Datei: Maya Bothe, bekannt als Kommissarin Alex Keller aus der Fernsehserie „Der Kriminalist“, sieht der lebenden Toten verblüffend ähnlich.

Gleichwohl werden von der Schauspielerin am Ende nur die Augen und die Mundpartien zu sehen sein. „Die Museumsbesucher sollen ja die junge Frau von 1700 sehen und nicht Maya Bothe“, erklärt der Video-Designer. Die Darstellerin werde gewissermaßen durch das Gesicht des Hinrichtungsopfers blicken. Und sprechen. Bothes Stimme bekommen die Besucher im Original zu hören. Gellwitzki arbeitet in seinem Ein-Mann-Betrieb seit mehreren Monaten an dem Projekt. „Mir kommt dabei zugute, dass ich nicht nur gerne mit Kamera und Computer hantiere, sondern auch handwerklich“, sagt der Jeans-und-T-Shirt-Träger, den man sich als gemütliche Mischung aus Daniel Düsentrieb und digital Nerd vorstellen muss.

Auf der Zielgeraden des Projekts, das sich die Stadt Langenfeld 6000 Euro kosten lässt, ist noch einmal Filigranarbeit am PC gefragt: „In der Hohlmaske ist die Projektion des 2D-Gesichts an manchen Stellen zu groß geraten“, sagt ihr Schöpfer. Logisch, schließlich ist die Nase weiter weg als zum Beispiel die Stirn. Das passt Ralph Gellwitzki jetzt noch an. Mit Engelsgeduld und Frickelvergnügen.