Mettmann Lessing will mehr Gerechtigkeit

Mettmann. · Nils Lessing ist Bürgermeisterkandidat von Bündnis 90/Die Grünen und hat 30 Jahre Polit-Erfahrung. Vermittelnd zu handeln ist seine Stärke.

Die Fundstelle des Neandertalers bedeutet Nils Lessing viel.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Die Fundstelle des Neandertalers, das ist der bevorzugte Ort von Nils Lessing, an dem er sich zum Interview treffen möchte. Hier hat der studierte Diplom-Biologe als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Düsseldorf gearbeitet und gelehrt, mit diesem Ort verbinden ihn schöne Erinnerungen. „Deswegen bedeutet mir das Tal schon viel“, sagt er, auch wenn dieser Ort nicht mehr ganz auf Mettmanner Stadtgebiet liegt. Aber bedeutsam ist er auch für Mettmann allemal.

Nils Lessing ist der Mettmanner Bürgermeister-Kandidat von Bündnis 90/Die Grünen. Der 52-jährige Lehrer, Vater von zwei vier und 13 Jahre alten Kindern, ist in Mettmann aufgewachsen, hat die Grundschule Kirchendelle, später das Heinrich-Heine-Gymnasium besucht und im Benninghof Zivildienst gemacht. Dort arbeitete er mit behinderten Kindern und Jugendlichen. Das machte ihm so viel Freude, dass er auch über den Zivildienst hinaus am Ende 20 Jahre dabei blieb.

Schon sein Vater war als Mitglied des Bürgervereins eine für die Gesellschaft engagierte Persönlichkeit in Mettmann. Er selbst kam zur politischen Arbeit, als in Tschernobyl das Atomkraftwerk explodierte. „Da gab es damals Lehrer, die sagten, Atomkraft sei eine gute Sache. Das hat mich politisiert“, erzählt er. Ebenfalls eine starke Motivation: „Ungerechtigkeiten zu beseitigen, das treibt mich auf allen Ebenen an.“

Seine politische Laufbahn begann er 1990 als sachkundiger Bürger im Bauausschuss, „der Ton war hart, da habe ich einiges gelernt.“ Und was? „Man darf das nicht persönlich nehmen, sonst geht man unter. Man muss gut zuhören, denn auch andere Standpunkte haben ihre Berechtigung. Man braucht Geduld und einen langen Atem.“

Das klingt ausgewogen, doch manchmal ballte sich ihm auch die Faust in der Tasche, „denn am Anfang war es auch mal so, da wurde mir das Mikrofon abgestellt, und die Leute haben, während ich geredet habe, Witze gemacht“. Das war zu der Zeit, als die Öffentlichkeit grüne Politik noch nicht so recht ernst nahm und man noch weit von dem weg war, was dank Klimawandel, „Fridays for Future“ und Greta Thunberg in Sachen Umwelt- und Klimaschutz mittlerweile in die Köpfe gepflanzt ist.

Atemberaubend die Wahlerfolge der Grünen bei der jüngsten Europawahl im Jahr 2019, wo sie in Mettmann mit einem Stimmenanteil von 23,6 Prozent zweitstärkste Partei hinter die CDU und noch vor der SPD und allen anderen wurden. Getragen von dieser Zustimmungswelle hatte Lessing noch im Januar selbstbewusst verkündet, dass die Grünen bei der nächsten Kommunalwahl stärkste Fraktion im Mettmanner Stadtrat werden wollen. Da war es keine Frage, dass die Grünen auch einen eigenen Bürgermeisterkandidaten aufstellten und sich nicht der gemeinsamen Kandidatin von CDU und SPD anschlossen. Außerdem hat Nils Lessing schon Wahlkampferfahrung. Er ist rund 20 Jahre lang im Mettmanner Rat, ist Kreistagsmitglied und kandidierte auch bereits für das Landratsamt.

Trotz Corona-Krise steigen die Umfragewerte der Partei wieder

Doch die Corona-Krise verdrängte das Thema Klimawandel von den Titelseiten und nahm den Grünen den Rückenwind aus den Segeln – wie ist nun die Stimmung? „Das ist uns tatsächlich ganz schön dazwischen gegrätscht“, sagt er nachdenklich. „Doch seit einiger Zeit merke ich, dass unsere Themen wieder breit debattiert werden und unsere Umfragewerte wieder hoch gehen. Im Moment bin ich wieder ganz zuversichtlich“, sagt Lessing. Und dass die „Fridays for Future“-Gruppen wieder demonstrieren, spielt den Grünen ebenfalls in die Hände.

Damit ist Lessing die offene Variable im Wahlkampf, denn es ist selbst für Insider schwer einzuschätzen, für wie viel Prozent die Grünen und ihr Bürgermeisterkandidat derzeit gut sind. Lessing selbst rechnet damit, in die Stichwahl zu kommen, und ein Sieg wäre eine Überraschung, aber nicht undenkbar. Welche Fähigkeiten zeichnen ihn für das Amt aus? „Ich denke, dass ich durch meine Persönlichkeit in der Lage bin, die Verwaltung zu führen“, antwortet er. Wichtig sei ihm ein ausgleichendes Verhalten. „Ich habe gelernt, meinen Standpunkt zu halten, aber vermittelnd zu sein.“ Und genau das hat ihm auch bereits die Wertschätzung seiner politischen Gegner eingebracht.

Dabei mache die Ratsarbeit derzeit „weniger Spaß als vor zehn Jahren, weil der finanzielle Spielraum so klein ist“, spielt Lessing auf das prekäre Haushaltsdefizit an. Die andauernde Kritik am Bürgermeister aber kann und will er nicht teilen, „ein Bürgermeister kann immer nur so gut agieren, wie auch der Stadtrat handelt. Die Stadthalle ist das beste Beispiel dafür“, sagt Lessing, dessen Fraktion sich längst für den Abriss ausgesprochen hat und für zeitliche Verzögerungen kein Verständnis mehr hat. Hier sei die Arbeit verbesserungswürdig, auch seitens des Rates, so Lessing. Ein weiteres wichtiges Thema seien die Schulen, „da habe ich als Bürgermeister eine Motivation, die Dinge voranzutreiben“. In seiner Freizeit sucht er den Ausgleich, „die Balance ist wichtig, dass man sich zurückziehen kann“. Einst schlug sein Herz für Oldtimer, doch Autos „haben keinen großen Stellenwert mehr für mich“. Stattdessen macht er gerne handwerkliche Tätigkeiten, „das ist das, wo ich abschalte“. Ein „ausgeglichenes Privatleben“ sei ihm wichtig – nur dann bleibt man wohl so ruhig, auch wenn es politische Konflikte gibt.