Nicht weggeschaut

Mittwoch, 8.30 Uhr . Dauerregen. Novemberwetter. Ich stehe an der nicht besonders attraktiven Bushaltestelle Wieden Schleife und beobachte, wie begleitet von apokalyptischem Lärm der Boden aufgerissen wird.

Foto: Archiv/Schmitt

Dann kommt der Bus, die SB 68, mit der ich nach Mettmann fahren möchte. Dort bin ich am Berufskolleg Lehrer. Ich setze mich in den durch die nassen Jacken nicht ganz so angenehm riechenden Bus in den hinteren Teil und versinke in die Zeitung. Gerade lese ich einen Artikel über österreichische Jugendliche, die ein Mädchen verprügelt, sie dabei gefilmt und das Video auf Facebook gestellt haben. Und ich lese, dass Facebook auch auf Bitten Österreichs sich weigert, das Video zu löschen. Denn: Das Video verstoße nicht gegen die Gemeinschaftsstandards. Die meisten Schüler (und auch viele Kollegen) tummeln sich auf Facebook. Aber würden Sie auch einer Partei beitreten, die sagt, solche Videos verstießen nicht gegen ihre „Standards“. Während ich überlege, wie ich die Schüler mit dem Thema ein bisschen ärgern könnte, ohne allzu oberlehrerhaft rüberzukommen, macht der Bus kurz vor meinem Ziel eine Vollbremsung. Mitten auf der Straße. Der Busfahrer springt aus dem Bus, und zuerst erkenne ich durch die beschlagenen Scheiben nicht mal, was er macht. Dann sehe ich es: Er hilft einem älteren Herrn auf die Beine, der am Streifen im Gras liegt. Fast unsichtbar im finsteren Novemberregen. Der Busfahrer hilft ihm auf die Beine. Inzwischen sind zwei weitere Busfahrer, ein Mann und eine Frau, aus dem Bus gesprungen und helfen. Ich selbst helfe auch. Aber meine Hilfe ist nicht mehr notwendig. Die drei anderen hieven den Mann in den Bus, der Busfahrer ruft den Notarzt und ich denke: Wow, unsere Zivilgesellschaft funktioniert. Oft jedenfalls! Dem Busfahrer klopfe ich mit einer etwas albernen Geste auf die Schulter. Er guckt mich mit einem Blick an, der Bände spricht: Für ihn war seine „Tat“ das Selbstverständlichste auf der Welt. Während ich auf seltsame Art glücklich bin, hoffe ich, dass mindestens drei AfD-Wähler im Bus waren und sich ein paar Gedanken machen. Denn ihre Partei hätte zwei der Helfer am liebsten abgeschoben.