Scheidung — Stresstest für Kinder
DiePsychologin Dalila Matilou kennt die Probleme aus ihrer Beratungsarbeit beim Psychologischen Dienst.
Dass Eltern sich trennen, ist für Kinder längst kein Stigma mehr. Jede dritte Ehe wird geschieden, in Großstädten sogar jede zweite. Daher gibt es oft Freunde im Kindergarten oder in der Schule, denen es ähnlich ergeht — die zwischen zwei Wohnungen, zwei Kinderzimmern und zwei Orten hin und her pendeln. Mit denen man reden kann, wenn es mal wieder Probleme zuhause gibt. Und dennoch: Für die betroffenen Kinder ist und bleibt die Trennung ihrer Eltern eine Ausnahmesituation. Im psychologischen Fachjargon wird auch von „Anpassungsleistung“ gesprochen — und die wiederum ist je nach familiärer Situation sehr unterschiedlich und keinesfalls einfach.
„Trockenübungen helfen da nicht weiter“, weiß Dalila Matilou. Die Psychologin kennt die Probleme aus ihrer Beratungsarbeit beim Psychologischen Dienst sehr genau. Um betroffene Kindern zu unterstützen, startet dort in Kürze eine Gruppe für Trennungs- und Scheidungskinder. „Es ist wichtig, die Kinder mit ihren Sorgen und Problemen nicht allein zu lassen“, weiß Matilou. Denn oft sei es immer noch so, dass Kinder inmitten der Streitereien ihrer Eltern zwischen die Fronten geraten. Sich auf die neue Situation einzustellen, sei zudem ein hoher Stressfaktor.
Geburtstage, Weihnachten, Urlaub: Alles gibt es quasi im Doppelpack. Und längst nicht alle Jungen und Mädchen können dieser Situation nur Vorteile abgewinnen. Schließlich gehe es auch immer darum, sich zwischen den Eltern entscheiden zu müssen. Und damit sei aus Sicht mancher Mütter und Väter indirekt auch eine Wertung verbunden, die wiederum zu Streit führen könne.
„Um das zu vermeiden, sind klare Absprachen wichtig“, appelliert Dalila Matilou an die Bereitschaft, sich auch nach einer Scheidung auf der „Elternebene“ auseinanderzusetzen. Gelingt das nicht, werden Kinder schnell zum Spielball von verletztem Stolz und Rachegelüsten. Wichtig sei auch, zuvor getroffene Vereinbarungen konsequent einzuhalten. „Auch nach der Trennung muss klar sein, dass die Erziehungsaufgabe weiterhin gemeinsam wahrgenommen werden muss“, so Dalila Matilou.
Trotz aller Bemühungen könne es dennoch vorkommen, dass Kinder ungewohnt aggressiv reagieren oder sich traurig zurückziehen. „Das ist eine normale Reaktion, der man nicht gleich einen Krankheitswert zuschreiben sollte“, glaubt die Psychologin. Davon, ein Kind dann sofort einem Therapeuten vorzustellen, hält sie wenig: „Die Trennung der Eltern ist nicht zwangsläufig ein Trauma sondern eine Phase, die Anpassungsleistungen verlangt.“
Deshalb sei es wichtig, Räume zu schaffen, in denen über Probleme gesprochen werden darf. „Dann können Kinder auch in solchen Situationen gesund erwachsen werden“, glaubt Dalila Matilou. Um dafür gute Voraussetzungen zu schaffen, sieht die vom Psychologischen Dienst angebotene Gesprächsgruppe für Kinder auch begleitende Termine für die Eltern vor: „Manchmal ist es für Eltern nach einer Trennung schwer, in Erziehungsfragen an einem gemeinsamen Strang zu ziehen. Und dennoch ist es der einzige Weg, um die Kinder zu entlasten.“