Sind die Abiprüfungen zu leicht?
Eine „Inflation der guten Noten“ will der Lehrerverband bemerkt haben. Gibt es auch an heimischen Gymnasien mehr Einser?
Kreis Mettmann. „Inflation an guten Noten“, so beschrieb der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, die gegenwärtige Situation an den deutschen Gymnasien. Werden auch an hiesigen Gymnasien zu gute Noten verteilt?
Die stellvertretende Schulleiterin des Gymnasiums am Neandertal in Erkrath, Beate Gorgels, ist da anderer Meinung. Ihrer Ansicht nach gibt es keine Inflation an guten Noten. Wenn überhaupt, dann nur in einzelnen Fächern, wie sie erläutert. Für ihr Gymnasium schließt sie die Inflation sogar ganz aus.
Andere Schulleiter wie etwa Horst Knoblich vom Mettmanner Konrad-Heresbach-Gymnasium beobachten „die Entwicklung hin zu vermehrt guten Noten mit Skepsis“. Er nennt aber auch einen Grund dafür, warum Lehrer sich im Zweifelsfall für die bessere Note entscheiden: Seine Schüler fühlten sich benachteiligt, weil die Schüler an den Berufskollegs einfacher zu guten Noten kämen, als dies auf einem Gymnasium der Fall sei.
Aber nicht nur die Konkurrenz durch das Berufskolleg erhöhe den Druck, sondern auch das Zentralabitur spiele eine entscheidende Rolle, sagt der Wülfrather Schulleiter Joachim Busch. „Dadurch, dass das Abitur zentral gestellt wird und die relevanten Themen, die abgefragt werden, feststehen, ist es leichter, die Schüler darauf vorzubereiten“, sagt er. Zum anderen verweist er auf das Land NRW, das den Schulen die Vorgabe mache, dass die Schüler im Vergleich zu den Vorjahren nicht schlechter werden dürften.
Auch Christof Krügermann, vom Gymnasium Hochdahl macht das Zentralabitur für die Vergabe von mehr guten Noten verantwortlich. Aber er betont auch, dass die Gesellschaft heutzutage Bestnoten verlange, damit beispielsweise Medizin studiert werden könne. Ist die Notengebung also kein Problem der Schulen, sondern der Politik und der Gesellschaft im Allgemeinen?
Krügermann will der Politik nicht vorschnell die Schuld zuweisen. Aber er mahnt, es sei Vorsicht geboten, da Politiker stets abwägen müssten, was dem System Schule und der damit verbundenen Belastung von Schülern und Lehrern zumutbar sei. Statt der Politik den schwarzen Peter zuzuschieben, möchte er lieber in den Schulen einen Ansatz finden, um das Problem zu lösen. Er möchte Strukturen schaffen, die Schülern eine freie Entfaltung ihrer jeweiligen Neigungen ermöglichen, als „Nährboden für Interessensförderung“.
Hanno Grannemann, der das Mettmanner Heinrich-Heine-Gymnasium leitet, betont, dass das Noten-Problem nichts mit Politikversagen zu tun habe. Ihm sei klar, dass gerade die Prüfungsaufgaben im Zentralabitur allen Schulen gerecht werden müssten und auch die Lehrer in ihren Fächern unterschiedliche Schwerpunkte setzten. Somit sei der Einfluss der Politik in dieser Hinsicht begrenzt.
Beate Gorgels sieht hingegen die Politik in der Pflicht, ein neues Schulkonzept aufzustellen: „Das derzeitige Konzept ist veraltet und muss reformiert werden.“ Die individuelle Förderung müsse mehr in den Vordergrund rücken, betont sie. Das Gymnasium am Neandertal ist bereits ein Vorreiter auf dem Gebiet der individuellen Förderung. Durch das Dalton-Konzept und die damit verbundenen neuen Lernzeiten wird der Schwerpunkt des Lernens neu gesetzt, zugunsten der jeweiligen Schülerbedürfnisse.
Insgesamt sprechen sich alle Schulleiter für mehr individuelle Förderung aus. Auch sollten Schüler mit exzellenten Leistungen besser unterstützt werden, etwa durch Angebote, die über den normalen Unterrichtsstoff hinausgehen und Möglichkeiten zur Weiterbildung, wie Christof Krügermann erläutert.
Förder- und Forderangebote sorgen dafür, dass das Niveau der Schüler ansteigt. Aber muss man, wie es der Lehrerverband fordert, auch das Niveau des Zentralabiturs wieder anheben? Die hiesigen Schulleiter vertreten unterschiedliche Auffassungen. Ein klares Ja zum sofortigen Erschweren der Abiturprüfung lehnen alle ab. Zum einen wäre es unfair den Schülern gegenüber, da diese nach altem Lehrplan ihre Kompetenzen erworben haben und nicht einfach etwas anderes abgefragt werden kann. Aber auch die Vorgehensweise sehen einige Schulleiter als falsch an, wie Beate Gorgels. Sie ist der festen Überzeugung, dass man „die Stellschraube nicht von hinten ansetzen“ kann. Wenn man das Abitur reformieren möchte, müsse man mindestens in der Einführungsphase (EF) anfangen und die komplette Oberstufenzeit dazu nutzen, die Schüler auf ein höheres Niveau vorzubereiten.
Für Horst Knoblich ist es aber mit der Einführungsphase, also der zehnten Klasse, nicht getan. Er befürwortet bei einer Umstellung des Zentralabiturs die Vorbereitung von der fünften Klasse an, so dass eine Reformierung nur langfristig möglich sei. Zudem müsse es verbindliche Grundschulgutachten geben, um festzustellen, ob ein Kind auch für ein Gymnasium geeignet ist.
Der Hochdahler Schulleiter Krügermann plädiert dafür, dass andere Schulabschlüsse wie zum Beispiel der Realschulabschluss in der Gesellschaft wieder einen höheren Wert bekommen. Gleichzeitig sollten die Schüler aber auch nach Begabung beraten werden, so Krügermann.