Blick ins Stadtarchiv - Im Kaufrausch anno 1911

Ein Blick ins Stadtarchiv verrät, was vor 100 Jahren beim Weihnachtsfest aktuell war.

Ratingen. Früher war alles besser — auch Weihnachten. Da wurde noch beschaulich und bescheiden gefeiert, ohne Konsumrausch und tagelange Schlemmerei. Und Schnee gab es früher an Weihnachten auch immer. Tatsächlich? Was ist denn wirklich dran an diesen Erinnerungen? Die WZ hat sich im Stadtarchiv auf die Spuren von Weihnachten anno 1911 in Ratingen begeben.

Das Wetter war schon mal nicht besser in den Tagen an und um Weihnachten. „Wir können uns auf südliche Winde gefaßt machen, die stets Wärme und Regenwetter mit sich bringen“, schrieb der Chronist damals in der Zeitung zur Wetterlage rund ums Fest. Also, alles schon mal da gewesen.

Aber so einen Einkaufsstress gab es früher doch nicht. Zeit zum Einkaufen hatten unsere Vorfahren auf jeden Fall: Am Tag vor Heiligabend, das war 1911 ein Samstag, war „erweiterter Geschäftsverkehr“ bis 22 Uhr erlaubt. An Heiligabend durfte bis 19 Uhr eingekauft werden — ausgenommen die Zeit des Hauptgottesdienstes (9 bis 11 Uhr). Und sogar am ersten Weihnachtstag hatten manche Geschäfte geöffnet: Backwaren, Fleisch, Wurst und Milch durften von 5 bis 12 Uhr verkauft werden, der Handel mit Kolonialwaren, Blumen, Tabak und Zigarren sowie Wein und Bier war von 7 bis 8.30 Uhr zugelassen. Eigentlich nicht verwunderlich: Es gab noch keine Kühlschränke.

Aber eine solche Schlemmerei wie heute gab es früher an Weihnachten nicht! Von wegen! Schon Tage vor dem Fest warben die örtlichen Händler mit Anzeigen in der Tageszeitung für ihre Produkte. Die Ross-Schlachterei W. Angerhausen in der Bechemer Straße 32 pries ihren „1a Fohlenbraten — bester Ersatz für Kalbfleisch sowie prima Fleisch von nur fetten Pferden“ an. Und Gerhard Muckel unterbreitete „hochachtungsvoll“ sein Angebot: „100 Stück Gänse und fette Suppenhühner“. Das „Butter- und Margarinesyndikat“ am Markt 19 warb für „1 Pfund Butter für 1 Mark.“ Natürlich gab es auch „allerfeinste Süssrahmbutter — das Beste was producirt wird.“ Butter war Luxus — bei einem Jahresgehalt eines Arbeiters von 900 Mark.

Franz Buschhausen bot in seinem Geschäft an der Oberstraße 28 preiswertere Genüsse an: „Chokolade-Figuren zu fünf, zehn und 25 Pfennig. Er hatte aber auch Erdnüsse, „Wallnüsse“, Krachmandeln, Feigen und Datteln „im Carton“, Kastanien und Apfelsinen (zehn Stück für 55 Pfennig) parat. Mit besonderen Weihnachtsrabatten und Sonderangeboten wollten die Ratinger Händler auch schon 1911 ihre Kunden zum Kaufen verführen. Mit „zehn Prozent auf alles — außer Näh- und Strickgarne“ lockte das Kaufhaus Peter Albert Tack auf der Oberstraße zum „grossen Weihnachts-Verkauf“.

Einen Luxus der besonderen Art hatte C. Löhnert in seinem Laden an der Oberstraße 20 parat: Mercedesstiefel. „Unübertroffene Haltbarkeit, vollendete Passform, unbedingte Preiswürdigkeit“ zeichnete die schrillen Treter aus, die es für Damen und Herren zum Einheitspreis von 12,50 Mark gab. Und für Raucher hatte Schlingensiefs Filiale an der Düsseldorfer Straße 9 „Cigarren und Cigaretten in hübschen Präsent-Kistchen“ auf Lager.

Damit es zu Hause nicht zu langweilig wurde, konnten die Ratinger in den „Jägerhof“ zur „öffentlichen Tanzmusik“ gehen. Eine andere Anzeige befahl: „Auf nach Homberg! Am 2. Weihnachtstage findet im Lokale des Herrn W. Walter eine große Weihnachtsfeier mit Tanzvergnügen statt.“ Und schließlich gab’s noch Kinovergnügen im „Ratinger Theater“ an der Lintorfer Straße mit bemerkenswerten Filmen: „Reformation eines Trunkenboldes (dramatisch)“, „Little Hans bei den Wilden (komische Szene, herrlich koloriert)“ oder der Streifen „Folgen der Hundstage (äusserst originell)“. Eigentlich hat sich in 100 Jahren gar nicht so viel verändert. . .