Doping für das Brauchtum

In den 1960er-Jahren gab es keine Prinzenpaare, keinen Zoch und keinen Rathaussturm: Mit der Gründung des Karnevalsausschusses ging es mit dem Winterbrauchtum wieder aufwärts.

Ratingen. Rosenmontagszug? Fehlanzeige! Prinzenpaar? Gibt es nicht. Straßenkarneval? Nur in Düsseldorf. Mit diesen Schlagworten lässt sich die Situation des Karnevals in Ratingen vor rund 50 Jahren beschreiben. Anfang der 1960er-Jahre lag das Winterbrauchtum am Boden, lediglich in Vereinen, bei einigen Gesellschaften und in Pfarrgemeinden fanden närrische Veranstaltungen statt. Rathaussturm, Möhnetreiben, Rosenmontagszug gab es alles nicht. Von 1962 bis 1966 gab es fünf Jahre lang kein Prinzenpaar — ein Zustand, den es zuvor nur während der Naziherrschaft und in den Nachkriegsjahren gegeben hatte.

„Die Leute waren mehr mit sich selbst und ihrem Beruf beschäftigt. Es gab einfach kein Interesse“, erinnert sich Hans-Jürgen Krier. Der heute 75-Jährige gehörte zu dem gut ein Dutzend Männer, die sich am 11. September 1968 bei Gastwirt Theo Klinkenberg („Zu den drei Königen“) trafen und einen neuen Dachverband der Ratinger Karnevalsgesellschaften gründeten: den Karnevalsausschuss der Stadt Ratingen. Der feiert jetzt jeckes Jubiläum: „11 mol 4 — dat fiere mir!“

Erster Vorsitzender wurde Paul Kellermann, der im vergangenen Jahr verstarb. Zum Präsidenten wählte der Ausschuss Willi Becker von Rot-Weiss. Und bald hatte der Ausschuss auch ein neues Prinzenpaar gefunden: Hans-Jürgen und Christel Krier. Die Hauptaufgabe sah der „KA“ aber darin, den Karneval in Ratingen wieder in Schwung zu bekommen. „Wir wollten wieder Straßenkarneval“, blickt Krier zurück. Man habe den Schulen ein paar Eimer Farbe gegeben, damit die Kinder einige bunte Wagen machen konnten.

Um finanziell auch etwas bewegen zu können, seien die Karnevalisten mit der Sammelbüchse durch die Stadtteile gezogen. Groschen um Groschen wurde gesammelt, um das Geld für Prinzenkürung und Rosenmontagszug zusammenzubekommen. Schirmherren und Sponsoren gab es noch nicht. „Wir sind als Prinzenpaar in einem grünen VW Käfer, den der Politiker Peter (Harry) Kraft organisiert hatte, zu den Veranstaltungen gefahren“, erinnert sich Krier.

Der Karnevalsausschuss rackerte sich ab, in Ratingen wieder einen Rosenmontagszug auf die Beine zu stellen — am Vormittag, damit man anschließend immer noch zum Düsseldorfer Zug gehen konnte. Und er hatte eine rettende Idee, um die Ratingen heute noch von vielen Karnevalisten beneidet wird: Er erwählte sich einen Schirmherrn, der zum Gefolge des Prinzenpaares gehört und entsprechend seiner Möglichkeiten die eine oder andere Finanzspritze gab. Er fährt nicht nur mit eigenem Wagen beim Rosenmontagszug mit, sondern ist auch der „Herr aller Möhnen“ an Weiberfastnacht.

Im Herbst 1970 führte der KA erstmals ein Wettbewerb für ein Zug-Motto ein und erhielt auf Anhieb mehr als 50 Vorschläge. In der Zeit wurde die Prinzenkürung zur zentralen Ratinger Karnevalsveranstaltung ausgebaut. Weil die Gratulationscour dabei aber immer länger dauerte, wurde ein eigener „Prinzen-Vorstellabend“ eingeführt. Auch der Straßenkarneval bekam neuen Auftrieb. Anfang der 1970er-Jahre feierte man noch verhalten, aber schon 1973 herrschte in Ratingen ab Weiberfastnacht Ausnahmezustand.

Seine Blütezeit erlebte der Karnevalsausschuss in den 1990er-Jahren mit dem „magischen“ Führungsteam um Hanno Paas (heute Ehrenvorsitzender), Günter Vogel, Erich von Gersum und Wilfried Schwassmann — die „Prinzenmacher“. Seit 2005 leitet Hubertus Brauer, der 1991 als Schirmherr „Geschmack am Karneval gefunden hat, die Geschicke des KA.