Eine Ära geht zu Ende: 32 Jungen besuchen jetzt die Liebfrauenschule
Die Mädchenrealschule hat seit Donnerstag auch Jungen als Schüler. Eine Revolution nach 113 Jahren.
Ratingen. Klassenlehrerin Charlotte Seguin hat zum Schuljahresbeginn ein neues Buch in der Tasche — augenzwinkernd von Kollegen überreicht. Titel: „So sind Jungs“. Dass sie Verwendung dafür hat, liegt auf der Hand. Die Französin ist — nach 113 Jahren Schulgeschichte der Liebfrauenschule — die erste Klassenlehrerin einer Jungenklasse der erzbischöflichen Realschule. Für die 32 Schüler begann am Donnerstag im ersten Stock, Raum 110, des ehrwürdigen Altbaus an der Schwarzbachstraße das fünfte Schuljahr. Die 32 bilden eine von vier Parallelklassen der Stufe fünf.
Sie selbst finden ihren ersten Schultag dort wohl spannend, aber so außergewöhnlich nun auch wieder nicht. Fabian zeigt auf eine ganze Bankreihe rechts neben sich: „Wir kommen alle von der Gebrüder-Grimm-Schule.“ Mund-zu-Mund-Propaganda an der Grundschule in Süd hatte gewirkt, seit die Liebfrauenschule ihren geplanten Neustart publik gemacht hatte. „Meine Schwester geht in Klasse acht hier. Und sie hat gesagt: ,Die Schule ist toll’“, sagt Phillip. Sein Banknachbar Moritz spielt gern Fußball, freut sich auf den Sportunterricht genauso wie auf Erdkunde und Biologie.
Und das Meinungsbild auf dem Schulhof, bei den älteren Mitschülerinnen? Magda (Klasse acht) findet’s nicht so aufregend: „Mit den Fünftklässlern haben wir ja im Unterricht nicht viel zu tun“, meint sie trocken.
Ihre Mitschülerin Leonie erinnert sich dagegen noch an den Tag, an dem der ehemaligen Schulleiter Johannes Steggers den Schülerinnen die neuen Pläne erklärte: „Da gab es zuerst mehr Buhrufe als Applaus.“
„Stimmt, aber seither hat sich viel getan“, sagt Peter Bärens (60), der kommissarisch die Nachfolge von Steggers angetreten hat, gemeinsam mit seinem langjährigen Konrektorkollegen Willi Wüstenberg (60). Beide arbeiten seit 17 Jahren zusammen in der Schulleitung. Gemeinsam mit dem 32-köpfigen Kollegium wollen sie die Idee von paralleler Jungen- und Mädchenförderung an einer Schule mit Leben füllen.
Strikte Trennung wird es nur im Unterricht geben — und das auch nur bis Klasse sieben, wenn das Differenzierungsangebot für gemischte Mädchen- und Jungenklassen sorgen wird.
Im Übrigen geht Bärens davon aus, „dass es wohl kein Problem sein wird, wenn alle miteinander in den Pausen Fußball spielen können, wenn sie wollen“. Hinzu komme das gemeinsame Tun in Arbeitsgemeinschaften oder den Musikensembles der Schule.
Dass man mit dem neuen Angebot einen Nerv treffen würde, war Bärens schon lange klar: „Wir hatten immer wieder Anfragen von Eltern nach einer Jungenklasse.“
Schließlich bestätigten das die Anmeldezahlen: „Wir hatten zuletzt 45 Anmeldewünsche, konnten aber maximal 32 Schüler in die Klasse aufnehmen.“ Von denen sei auch niemand mehr abgesprungen. „Das zeigt: Die neuen Schüler wollten wirklich zu uns“, so Bärens.