Silvia Ungerechts: Weberin mit Leidenschaft
Silvia Ungerechts beherrscht die mittelalterliche Technik des Brettchenwebens.
Ratingen. Fasziniert schauen die Zuschauer auf Schloss Burg der Frau im grünen Kleid zu, wie sie einen goldenen Faden geschickt durch die dicht nebeneinander aufgezogenen Kettfäden des mittelalterlichen Webstuhls zieht. „Die Technik, die ich hier anwende, nennt man broschieren“, erklärt die 38-jährige: „Dabei arbeitet man so, dass der Schussfaden als Teil des Musters sichtbar ist.“
Silvia Ungerechts aus Ratingen beschäftigt sich seit rund 20 Jahren mit der mittelalterlichen Handwerkskunst des Brettchenwebens (siehe Kasten). Die Kettfäden sind durch Löcher in kleinen Brettchen gespannt — daher der Name. Durch Drehung der Brettchen gerät jeweils ein anderer Kettfaden an die Oberfläche, der im entstehenden Gewebe sichtbar ist. Auf diese Weise wurden früher textile Bänder und Gewebeabschlusskanten zur Verzierung von Kleidung oder Kissen hergestellt — in einem äußerst zeitaufwendigen Verfahren.
„Ein bis zwei Zentimeter schaffe ich in der Stunde“, sagt Silvia Ungerechts: „Je nach Schwierigkeit und Komplexibilität des Musters.“ Dabei hält sie sich streng an die überlieferten Vorgaben und Anleitungen — auch, wenn es darum geht, ihre Handwerkskunst anderen zu präsentieren. „Viele Mittelaltermärkte sind eher bessere Fantasy-Spektakel. Dagegen ist auch absolut nichts einzuwenden, es macht auch mir Spaß, über solche Märkte zu schlendern. Aber mit dem wahren Mittelalter hat das nicht viel zu tun“, sagt sie.
Das Mittelalter — eine Zeit, die nicht so bunt und fantastisch gewesen sei, wie auf den großen Märkten dargestellt, aber auch nicht nur dunkel und öde. Die filigrane Handwerkskunst aus dieser Zeit spreche eine deutliche Sprache. Silvia Ungerechts: „Die Menschen hatten die Zeit und das Geld, so aufwändige Verzierungen herzustellen. Es gab Farben und Schmuck in dieser Zeit, aber es war auch ein schlichtes Leben. Immerhin waren 90 Prozent der Bevölkerung bürgerlich: Bauern, Handwerker, Arbeiter, Dienstboten.“
Dabei ist die Ratingerin, die als Angestellte arbeitet, selbst „adelig“ in die Szene eingestiegen: „Wir hatten damals Kontakt zu einer Gruppe, die mittelalterliche Turniere veranstaltete. Eines Tages fehlte ihnen eine Edeldame — und schon befand ich mich im Kostüm. Aber ich habe bald gemerkt, dass es nicht das ist, was ich möchte. Ich wollte aktiver sein, den Menschen mein Handwerk vorführen. Nur ’rumsitzen und hübsch sein, das ist nicht meine Baustelle.“ Sie lacht.
Inzwischen ist die Weberin in der Mittelalterszene gut vernetzt. Immer wieder kommen Anfragen, ob sie bei Veranstaltungen wie sogenannten Burgbelebungen, wie an diesem Tag auf Schloss Burg, auftreten möchte. Aber macht es sie nicht wahnsinnig, Stunden an wenigen Zentimetern Borte zu arbeiten? Silvia Ungerechts lacht wieder. „Nein, ganz im Gegenteil: Ich finde es äußerst entspannend. Andere lesen ein Buch oder meditieren — ich setze mich nach der Arbeit an den Webstuhl. Das ist meine Art des Stressabbaus.“