Spielen — bis das Haus explodiert

Wer am Wochenende die Spieletage in Ratingen besuchte, spürte es deutlich: Das gute alte Brettspiel erlebt eine Renaissance.

Ratingen. Dirk Bock ist Gefahrstoffexperte. Zumindest für die nächste Stunde. Mit seiner Familie testet er auf den Spieletagen in der Ratinger Stadthalle das Brettspiel „Flash Point — Fire Rescue“. Darin muss man Opfer aus einem brennenden Haus retten. Wie, das erklärt die Anleitung: „Jeder stellt seinen Feuerwehrmann auf ein Feld“, liest er vor.

Familie Bock kommt aus Münster, trifft sich dort wöchentlich zu einer Runde mit Freunden. „Am liebsten probieren wir Spiele, die wir noch nicht kennen.“ Dass das Feuerwehr-Spektakel bald auf seinem Tisch landen wird, hält Bock allerdings für unwahrscheinlich.

„Die Regeln sind schlecht strukturiert.“ Dann lieber „Terra Mystica“, sein derzeitiges Lieblingsspiel um Hexen, Zwerge und Alchimisten. Miterfunden hat es Uwe Rosenberg, der mit sechs weiteren Spieleautoren in Ratingen zu Gast ist.

Unter dem Label „Lookout Games“ verlegt er seine Werke selbst. Das macht die Abläufe einfacher, aber auch das Risiko größer: Etwa 40 000 Euro koste die Produktion eines Spiels, bis es im Regal steht, sagt der 43-Jährige aus Gütersloh. Der Lohn sind nicht nur begeisterte Kunden, sondern mitunter auch der Deutsche Spielepreis, den Rosenberg 2008 für „Agricola — Die Bauern und das liebe Vieh“ gewann.

„Brettspiele erleben einen Aufwärtstrend“, sagt Messe-Organisator Thomas Fedder vom Kulturamt, „weil viele Leute gemerkt haben, dass sie kommunikativer und menschlicher sind, als vor dem Computer zu hocken.“ Zudem sitze man in den meisten Berufen den ganzen Tag vor dem Bildschirm, „da tut eine Spielerunde am Tisch ganz gut“.

Das sieht Spieleautor Matthias Cramer genauso, zumal er hauptberuflich in einer IT-Abteilung arbeitet. „Man kann in eine andere Welt eintauchen und soziales Miteinander erleben.“ Er schätze sogar Spiele, „die sechs Stunden dauern“, offenbart Cramer. „Das sind meist Wirtschaftssimulationen. Da trifft man sich am Wochenende, drei Uhr nachmittags, und wenn der Gewinner feststeht, ist es dunkel.“

Zu seiner Ludografie (der Liste der Spiele, die er erfunden hat), gehört „Mieses Karma“, in dem man als Ameise wiedergeboren wird und das auf dem Roman von David Safier basiert. Zwei bis fünf Jahre dauere die Entwicklung; dann von einem Verlag ausgewählt zu werden, sei etwas Besonderes: „Es gibt einen Verlag, der pro Jahr 400 Prototypen zugeschickt bekommt, also Spiele, die frisch entwickelt wurden. Davon veröffentlicht er vier.“

Sein neuester Prototyp ist bereits gekauft und erscheint im Herbst: „Darin schneidern die Spieler Kleider am Hofe Ludwigs XV.“ Eine Herausforderung, die Besucher gerade am Nebentisch testen. Sich zu etablieren, daran arbeitet „Smiling Monster Games“. 2010 von Stefan Zlatintsis und zwei Freunden gegründet, entwickelte das Trio aus Aachen bislang zwei Spiele, darunter das Kartenspiel „Jagdfieber“: „Der Jäger jagt den Wolf, der Wolf den Hasen, der Hase die Möhre“, erklärt der Autor die Grundzüge. 500 Stück produzierten sie in der ersten Auflage.

Zlatintsis gefällt die „familiäre Atmosphäre“ der Spieletage. „Es ist nicht überlaufen wie auf großen Messen. Man hat mehr Zeit, mit den Besuchern zu sprechen.“ Gefahrstoffexperte Dirk Bock klebt derweil immer noch an der Spielanleitung des Feuerwehr-Tumults. „Wann ist das Spiel denn zu Ende?“, fragt seine Frau. „Zum Beispiel, wenn das Haus explodiert“, sagt Bock. Das leuchtet ein.