RP-Redakteurin Dorothee Krings liest in Hilden aus ihrem Erstlingswerk Was Frauen zu Kaisers Zeiten bewegte

Hilden · Die Gerresheimer Glashütte wurde Gegenstand eines Romans: RP-Redakteurin Dorothee Krings blickt in ihrem literarischen Debüt „Tage aus Glas“ auf den Arbeiterstreik von 1901 zurück. Jetzt las sie daraus in der Stadtbibliothek Hilden vor.

Dorothee Krings las jetzt aus ihrem Erstlingswerk „Tage aus Glas“.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Die Zerbrechlichkeit des hergestellten Produkts steht im extremen Gegensatz zu den harten Arbeitsbedingungen für die Menschen, die in der Wende zum 20. Jahrhundert handwerklich Glas bliesen. Dies ist jedoch nicht der einzige Gegensatz, der den Spannungsbogen des Romans „Tage aus Glas“ trägt, den die Autorin und RP-Redakteurin Dorothee Krings vor knapp 100 Zuhörenden im voll besetzten Foyer der Stadtbibliothek Hilden vorstellte. Neben dem Ziel, historisches Wissen um die Geschichte des einst weltweit größten Standorts für die Glasproduktion zu bewahren, nannte Krings ihre Idee, Industriegeschichte aus weiblicher Perspektive zu beschreiben, als maßgebliche Motivation für die vier Jahre Arbeit an ihrem literarischen Debüt, das fiktionale und dokumentarische Elemente homogen verwob.

In einfühlsamer Sprache beschreibt Dorothee Krings das beengte Leben in der Glasmacher-Siedlung, wo die junge Bille mit Geschwistern, ihrer depressiven Mutter Hilde und Vater Jakob lebt. Ihre Mutter hat, was die Änderung ihrer Lebensumstände anbetrifft, schon längst resigniert, hat sich damit abgefunden, dass die Männer ihren Frust in Alkohol ertränken und letztlich die Frauen dafür sorgen müssen, dass die Familie irgendwie überlebt.

Ein junger Maler zeichnet sie, und das Bild wirkt wie ein Spiegel. In einer Art Erweckung erkennt sie die Perspektivlosigkeit, deren Spuren sich bereits in ihr Gesicht eingegraben haben. Dennoch ist da noch Platz für gemeinsame Träume mit ihrem „Lebensretter“ Adam übrig. Die Geschichte beschreibt eindringlich das Bewusstwerden einer eigenen Identität und eine keimende Hoffnung auf soziale Veränderungen.

Auf gänzlich anderer gesellschaftlicher Ebene lebt Leonie, Tochter des Werksarztes der Glashütte. Auch wenn ihr alle möglichen Zerstreuungen wie Konzerte oder Soireen mit Künstlern der Düsseldorfer Kunstakademie offen stehen, so ist aber auch ihr Leben alles andere als selbstbestimmt. Und selbst wenn sie durch Heirat ihrem Elternhaus entkommen könnte, so wirkt zu damaliger Zeit die Ehe wie ein Korsett gesellschaftlicher Konventionen.

Ein Generalstreik der Glasmacher, der 1901 sukzessive das gesamte Deutsche Reich erfasst hatte, hätte einschneidende Veränderungen bewirken können, wenngleich in Gerresheim den Arbeitern von einer Kranken- und Invaliditätsversicherung bis zu einer Versorgung in einem Heim für versehrte Arbeiter vergleichsweise hohe soziale Standards zugute kamen.

Doch Jakob scheute das Risiko, sich den Wortführern des Streiks anzuschließen und letztlich auf einer Schwarzen Liste zu landen. „Einmal hätte mein Jakob etwas Großes tun können“, sinnierte Hilde. Dann fiel das Tor ins Schloss und sollte sich für die Arbeiter auch nicht mehr in gewohnter Manier öffnen. Denn 1899 wurde in den USA Owens Flaschenvollautomat zum Patent angemeldet.

Viel Applaus gab es für die Lesung, die Dorothee Krings mit zahlreichen Bildern des riesigen Geländes angereichert hatte. „Ich habe 30 Jahre bei Henkel gearbeitet und zwischen der Industriegeschichte der Gerresheimer Glashütte und Henkel konnte ich, beispielsweise was den Werkswohnungsbau anbetrifft, einige Parallelen entdecken, das fand ich sehr spannend“, sagte Kerstin Ochs, die in Langenfeld wohnt. „Ich fand den Ansatz, Industriegeschichte aus dem Blick von Frauen zu schreiben, sehr spannend und überhaupt liebe ich den Stil von Dorothee Krings, die mir in ihren RP-Artikeln häufig aus dem Herzen schreibt“, erklärte Luzia Zenzen aus Hilden.