Handball Früherer Handball-Profi arbeitet jetzt als Lehrer
Ratingen/Haan. · Der Kapitän des Handball-Regionalligisten SG Ratingen hat einen Job gefunden, der sich mit seiner Tätigkeit verträgt. Ein Gespräch über die Zukunft, die AfD, Flüchtlinge und „Söldner“.
Nachdem der Stundenplan fix ist, kann Alexander Oelze einen Termin und Ort vorschlagen: „Donnerstag habe ich zwischen 11.40 und 12.40 Uhr eine Freistunde, da können wir uns im Café König in Haan treffen“, schlägt der Kapitän des Handball-Regionalligisten SG Ratingen vor. Die Wahl fällt auf die „Gartenstadt“, weil Oelze in der Nähe des genannten Cafés seinem Hauptberuf nachgeht: Er ist inzwischen Vertretungslehrer an der Hauptschule in Haan. 13 Jahre lang war er Handball-Profi, inzwischen ist diese Karriere beendet, Handball ein ambitioniertes Hobby und Lehrer ein Vollzeitjob.
Alexander Oelze kommt nicht mit einer „akademischen Viertelstunde“ Verspätung, sondern fast pünktlich, er hätte gerne einen Flammkuchen, aber „der Ofen ist noch nicht an, das dauert“, sagt der Kellner. Also bestellt Oelze, der am Freitag 36 Jahre alt geworden ist, statt dessen einen Kaffee und Rührei mit Schinken und einem Brötchen.
Geboren wurde Alexander Oelze am 28. November 1983 in Magdeburg. Durch einen Kumpel, der schon spielte, kam er zum Handball, die Eindrücke der Weltmeisterschaft 1995 auf Island, als Deutschland Vierter wurde, waren da noch sehr präsent, er wollte die Sportart probieren. Daraus wurde eine Vereinszugehörigkeit beim SC Magdeburg, dort startete Oelze in der D-Jugend, blieb und machte für den Klub auch seine ersten Bundesliga-Spiele als Profi, Trainer war Alfred Gislason, die isländische Ikone. Im Jahr 2006 wechselte Alexander Oelze zum Zweitligisten Bergischer HC (BHC), blieb dort bis 2009, bevor er zum Liga-Konkurrenten Leichlinger TV wechselte. Er blieb allerdings nur wenige Monate, nahm dann das Angebot des Bundesligisten Balingen-Weilstetten an. Doch nur eine Saison später ging es zurück zum BHC und dort wieder in die Bundesliga.
Oelze nimmt einen Schluck Kaffee. „Es war gut in Leichlingen, aber dann kam das Angebot aus der ersten Liga. Das musste ich annehmen. In Balingen hätte ich bleiben können, mir war ein Zwei-Jahres-Vertrag angeboten worden. Aber in der Zeit bin ich Vater geworden, und die Mutter meines Sohnes hatte hier ein gutes Job-Angebot bekommen, deswegen habe ich mich entschieden, hierhin zurückzukommen.“
Das „Hierhin“ meint das Bergische, Alexander Oelze wohnt in Solingen, Sohn Mikkel geht in Wuppertal zur Schule, ist inzwischen acht Jahre alt und der ganze Stolz des Vaters, der den Namen seines Sohnes auch auf dem rechten Oberarm tätowiert hat. Sieben Jahre blieb der Mittelmann, der seine nicht übergroße Körpergröße von 1,88 Metern mit Sprungkraft und einer überragenden Wurftechnik aus dem langen Arm kompensiert, beim BHC, erlebte dort Ab- und Aufstiege sowie die Teilnahme am Finalturnier um den Deutschen Pokal in Hamburg. Im Februar 2017 endete die Liaison zwischen Verein und Spieler aber mitten in der Saison.
„Mir wurde gesagt, dass ich nicht mehr gebraucht werde“, sagt Oelze und erinnert sich an „viele Gespräche“ mit Trainer Sebastian „Seppel“ Hinze. „Da wurde klar, dass es sportlich nicht mehr passt. Ich hatte noch einen festen Vertrag bis 2018 mit Option auf 2019, aber ich hatte keine Lust, nur auf der Bank oder gar nur dahinter zu sitzen. Da ist nichts vorgefallen, ich habe mich ganz normal, korrekt verhalten. Und als es dann die Situation gab, ob ich gehe oder bleibe, hat Seppel entschieden, dass ich auf die Tribüne gehen soll. Das war okay, so ist das Handball-Geschäft“, sagt Oelze und zuckt leicht mit den Schultern. Der Blick wird dann doch ein wenig härter: „Das Einzige, was mich gestört hat, war, dass der Klub nur einen Dreizeiler veröffentlicht hat, dass der BHC und Alexander Oelze den Vertrag auflösen. Ich war insgesamt neuneinhalb Jahre da, und dann gab es nicht einmal eine vernünftige Verabschiedung. Es wird immer Spieler geben. bei denen der Vertrag auch in der Saison aufgelöst wird, und wenn es nicht mehr passt, passt es nicht mehr. Das ist okay. Aber nach fast zehn Jahren hätte ich mehr erwartet.“
Oelze schloss sich daraufhin dem Zweitligisten HC Rhein Vikings, einem Zusammenschluss aus Neusser HV und HSG Düsseldorf, an.
„Da sind dann noch Fans vom BHC hingekommen und haben mir zum Abschied Blumen, ein Stofftier und einen Gutschein überreicht. Das hat mich mega gefreut“, sagt Oelze, dessen Rührei inzwischen angekommen ist. „In Neuss hat es Spaß gemacht, wir hatten eine super Mannschaft mit tollen Typen, mit denen ich auch weiterhin Kontakt habe, weil es echt gute Freunde geworden sind.“
Allerdings endete die Zeit bei den „Vikings“ für Oelze auch schon nach gerade einmal zwei Jahren.
Oelze streicht Rührei mit Schinken auf das halbierte Brötchen. „Es war einen Tag vor Weihnachten 2018, wir wollten eigentlich trainieren, aber dann hat man uns gesagt: ,Kommt mal in die Kabine.’ Da hieß es, dass kein Geld mehr da ist. Das war natürlich total scheiße, vor allem wegen des Zeitpunktes. Es hieß, Neuss könne den Spielbetrieb nur aufrechterhalten, wenn mehrere Spieler den Verein verlassen würden.“ Er beißt in das Brötchen.
Oelze war nicht der Erste, der die Neuss-Düsseldorfer Spielgemeinschaft verlassen hat. Vladimir Bozic, Teo Coric und Miladin Kozlina gingen vorher, aber ob diese Abgänge reichen, um die finanzielle Situation – die sportliche wird dadurch natürlich nicht besser – erträglich zu gestalten, weiß zu diesem Zeitpunkt niemand. Da die Wechselfrist am 15. Februar endet, wird die Zeit knapp, Ungewissheit macht sich breit, Oelze muss umdenken: Der Sport, der so lange im Mittelpunkt seines Lebens gestanden hat, der sein Beruf ist, kann plötzlich nicht mehr von Dauer sein. Er denkt an die Zukunft – und an Mikkel.
Das Rührei-Brötchen ist inzwischen vertilgt. „Ich hatte noch Angebote: Eines aus der ersten Liga und eines aus Luxemburg. Aber ich habe ein Haus in Solingen, mein Sohn geht in Wuppertal zur Schule, und dann nur alle zwei Wochen zu Hause zu sein war keine Option für mich“, sagt der 35-Jährige.
Über einen Bekannten kam der Kontakt zu Bastian Schlierkamp zustande, Oelze kennt den Geschäftsführer der SG Ratingen noch von gemeinsamen Studienzeiten an der Uni Bochum. Der Mittelmann hat Sportmanagement studiert, musste aber feststellen, dass der Aufwand neben dem Vollzeitberuf Profi-Handballer so nicht zu stemmen ist: Morgens Training beim BHC in Solingen, Fahrt zur Uni Bochum und nachmittags wieder Training in Solingen – Oelze war irgendwann platt. Er wechselte zu einem Fernstudium und beendete es in Düsseldorf. In Schlierkamp trifft er jemanden, der ihm nicht nur eine sportliche, sondern vor allem eine berufliche Perspektive bieten kann, und das beides auch noch in der Nähe zu seinem Wohnort und zu seinem Sohn. Bastians Vater Rolf Schlierkamp ist Schulleiter an der Hauptschule „Zum Diek“ in Haan, plötzlich tut sich für Oelze ein Weg auf, den er nicht hat kommen sehen.
„Es war sicher nicht immer mein Ziel, Lehrer zu werden“, sagt Oelze. „Aber Rolf Schlierkamp, der im Sommer in Pension gegangen ist, hat gefragt, ob ich mir das vorstellen kann. Ich habe mir das dann angeschaut, mich in verschiedene Unterrichtsstunden reingesetzt und alles aufgesogen. Und jetzt“, sagt er und lächelt, „bin ich seit März hier als Vertretungslehrer und unterrichte Sport, Englisch und Deutsch als Zweitsprache für Kinder mit Migrationshintergrund oder Flüchtlinge.“ Die Profisport-Karriere ist vorbei, aber Oelze trauert dem nicht hinterher. „Wir spielen hier in einem Umkreis von vielleicht 100 Kilometern. Es ist schon sehr angenehm, dass wir mit dem Handball nicht mehr so viel unterwegs sind und nur viermal pro Woche trainieren. Wenn wir ein Auswärtsspiel haben, das samstags um halb acht beginnt, bin ich trotzdem um 23, 24 Uhr zu Hause. Ich habe mehr Freizeit als früher. Ich bin super zufrieden.“
Um das nicht falsch zu verstehen: Oelze arbeitet Vollzeit als Lehrer. 28 Stunden Unterricht hat er pro Woche, eine Schulstunde entspricht einer Zeitstunde, also 60 Minuten. Vorbereitungen, Elternsprechtage und vieles mehr kommen hinzu. „Vertretungslehrer“ ist die Bezeichnung, weil er nie auf Lehramt studiert hat. Im Gegensatz zu seiner Schwester Josephine, die in Leipzig wohnt und in Delitzsch als Lehrerin tätig ist.
„Sie findet es immer noch witzig, dass ich jetzt Berufskollege von ihr bin“, sagt Oelze und lacht. Dann kehrt der Ernst in seine blauen Augen zurück. „Ich glaube aber, dass es heute nicht mehr oft so ist, dass man 50 Jahre lang einen Beruf ausübt. Es ist alles schnelllebiger geworden, man weiß nicht mehr, was in zehn Jahren ist. Ein, zwei Jahre kann man vorausblicken, aber nicht zehn. Am Ende kommt eh alles anders.“
Die Szene ist typisch für Oelze. Lachen ist durchaus etwas, das er gerne macht, auch wenn man es ihm auf dem Spielfeld nicht ansieht. Da ist er eher introvertiert, feiert seine Treffer – und es sind einige, allein in den ersten beiden Spielen dieser Regionalliga-Saison waren es 30 Tore – nicht gestenreich und lautstark auf dem Spielfeld, sondern frühestens, wenn er wieder auf der Bank ist, und auch dann nur mit eher kleinen Gesten und einem Lächeln. Wenn das Spiel vorbei ist, kann er auch alles rauslassen, mit seinen Kameraden im Kreis hüpfen und singen über einen Sieg, beim BHC hat er schon auf dem Geländer der Tribüne mit einem Megafon Zuschauer wie Mitspieler gleichermaßen mit der „Humba“ bespaßt, seine Reden auf scheidende Kollegen sind legendär. Er kann über schwarzen Humor und Sarkasmus herzhaft lachen, im Auto hört er gerne auch witzige Podcasts, etwa „Gemischtes Hack“ von Comedian Felix Lobrecht und Tommi Schmitt – da kann er sich „wegschmeißen“. Vor Spielen braucht er aber Wumms auf den Ohren, Hardrock oder Metal, nach Siegen ist es dann gerne Partymusik. Oelze ist aber auch empathisch, seit sieben Jahren macht er beim „Movember“ mit, einer Bewegung, bei der sich Männer, vornehmlich Sportler, einen Schnurrbart wachsen lassen, um auf Männerkrankheiten aufmerksam zu machen und Spenden für die Forschung daran zu sammeln. Auslöser war die Hodenkrebs-Erkrankung von Ex-Mitspieler Jens-Peter Reinarz, seinem besten Kumpel.
„Das hat mich sensibilisiert für das Thema. Ich war da Ende 20, da fühlt man sich unbesiegbar, kugelsicher – und als er dann die Diagnose bekam, war das auch für mich krass“, sagt Oelze.
Er kann nachdenklich sein, ohne in der Wortwahl zu zögern, er muss nicht abwägen, was er sagt, weil er gedanklich schon in die Tiefe gegangen ist.
Oelze zögert auch nicht lange beim Thema „Flüchtlingsdebatte“, auf das er als Lehrer für Deutsch als Zweitsprache „einen anderen Blickwinkel“ bekommen hat. „Es ist immer leichter zu meckern, dass Deutschland dies machen soll oder das“, sagt er mit ernstem Blick. „Aber das sind keine Schuhe, die man irgendwo hinstellen kann, das sind Menschen, die schlimme Schicksale erlebt haben. Ein Schüler hat mir erzählt, wie er als Flüchtling aus Eritrea nach Deutschland gekommen ist: Als 14-Jähriger ist er alleine, ohne Eltern oder sonst wen, zu Fuß durch die Sahara gewandert. Das ist einfach nur krass. Wenn Deutschland die Ressourcen und Möglichkeiten hat, da zu helfen, soll Deutschland das auch tun.“ Der gebürtige Magdeburger zeigt sich in dem Zusammenhang auch „irritiert, wenn die AfD so hohe Wahlergebnisse im Osten bekommt“, verweist aber auch auf die Landtagswahl in Hessen, wo die Partei auch auf ein zweistelliges Ergebnis kam. „Man sollte das nicht auf Ost und West reduzieren. Natürlich ist das schlimm, dass die AfD solche Werte bekommt, aber vielleicht lassen sich die Leute einfach mehr von Versprechungen einlullen als früher“, sagt Oelze, der mit seinem Vater Hendrik, der Sozialpädagoge ist, und seiner Mutter Andrea gut über diese Themen reden kann.
Populismus und Integration sind auch Themen, mit denen Oelze sich seit seinem Wechsel zur SG Ratingen beschäftigen muss.
Der Kaffee im Café in Haan ist inzwischen leer. „Uns wird oft vorgeworfen, wir seien eine Söldnermannschaft“, sagt der SG-Kapitän und schnaubt. „Wir gehen alle arbeiten und haben Vollzeitjobs wie alle anderen in der Liga auch.“ Natürlich weiß er, dass Verpflichtungen wie die seine oder die von Thomas Bahn, der auch vom Zweitligisten Rhein Vikings kam, oder die der mazedonischen (Ex-)Nationalspieler Ace Jonovski, Filip Lazarov, immerhin Bruder des Weltstars Kiril Lazarov, und Petre Angelov, Champions-League-Sieger von 2017, den Eindruck einer zusammengestellten Star-Truppe befeuern, aber er stellt dem entgegen: „Ich bin nicht hier, weil ich 4000 Euro im Monat mit Handball verdienen würde, sondern weil ich hier einen guten Job bekommen habe. Ich gehe jeden Tag arbeiten“, sagt Oelze und wird noch leidenschaftlicher: „Und die Motive von Ace und Filip sind ja noch mal andere: Die haben Kinder, denen es hier gut geht. Das Bildungs- und Schulsystem ist hier viel besser als in Mazedonien. Die Jungs müssten in ihrer Heimat wahrscheinlich nicht arbeiten, sondern könnten allein von Handball leben. Aber hier arbeiten sie nebenher, damit ihre Kinder eine gute Zukunft haben.“
Oelze schaut hoch, auf den Fernseher, in einer Nachrichtensendung wird die Uhrzeit eingeblendet. „Ist es wirklich schon 12.32 Uhr? Geht die Uhr richtig?“ Geht sie. „Ich muss los, ich habe Pausenaufsicht.“ Wissen die Schüler eigentlich, dass sie einen ehemaligen Bundesligaspieler als Lehrer haben? Oelze lächelt schief: „Die googeln ihren Lehrer und stellen dann fest, dass es viele Bilder von mir vom Handball gibt. Es ist aber nicht so, dass ich da als Handball-Prominenz wahrgenommen werde. Ich bin in erster Linie ihr Lehrer.“ Und wenn die Schüler im Unterricht googeln? „Wir haben eine Handybox. Wenn ich ein Handy im Unterricht sehe, kommt das da rein, und das gibt es erst am Ende der Stunde oder sogar erst am Ende des Schultages zurück“, sagt Oelze, der auch Co-Klassenlehrer ist. Im Hauptberuf. Und nicht mehr Handball-Profi.