900 Jahre Geschichte unter einem Dach

In der evangelischen Stadtkirche treffen verschiedene Baustile aufeinander. Bei Renovierungsarbeiten wurden hier auch einige alte Schätze entdeckt.

Wülfrath. Dass es Denkmalschützer oder -pfleger nicht schon vor ein paar hundert Jahren gab, sieht man gut an der evangelischen Stadtkirche im Zentrum Wülfraths. Denn wenn an dem Gebäude etwas kaputt war, wurde angebaut — und das nicht unbedingt in dem Stil, in dem die Kirche ursprünglich gebaut war, sondern immer so, wie es gerade modern war. So vereinen sich hier Elemente verschiedener Baustile, die die lange Geschichte der Kirche prägen.

Foto: Carolin Scholz

Schon von außen wird das deutlich. Ursprünglich wurde die Kirche wohl um 1200 in romanischem Stil gebaut — vorher könnte es allerdings schon kleinere Vorgängerbauten gegeben haben. Beim heutigen Gebäude finden sich auch Elemente aus der Gotik — das Mittelschiff — und der Spätgotik. Tatsächlich ist der Grund hierfür praktisch. „Die Kirche steht schon so lange — da wird immer wieder mal etwas baufällig“, sagt Christa Hoffmann, die Stadtführungen leitet und sich mit den Gebäuden der Innenstadt gut auskennt. Und dann wurde eben nachgebessert — so, wie man es zur jeweiligen Zeit eben gemacht hat.

Der Teil, der am meisten hervorsticht, der Kirchturm, stammt aus der Zeit des ersten Baus. Besonders gut kann man das an den kleinen Fenstern und den Rundbögen erkennen. Aber auch an den verwendeten Steinen im nördlichen Seitenschiff erkennt man einen Unterschied zu anderen Teilen der Kirche. In dieser frühen Zeit diente die Kirche nicht wie heute nur als Ort für Gottesdienste. Vielmehr war sie ein sicherer Zufluchtsort. Unter dem Dach wurde zum Beispiel Korn gelagert. Außerdem konnten Bürger in Kisten verpackte Wertgegenstände einlagern. „Als einziges gemauertes Gebäude wurde es für besonders sicher gehalten“, sagt Hoffmann. Ein Trugschluss, wie sich herausstellte. Denn bei den großen Bränden war auch der Dachstuhl betroffen, die Glocke angeschmolzen.

Um 1600 war in der Kirche die erste Schule untergebracht. Mit der Reformation sollten alle Menschen — nicht nur wohlhabende — alphabetisiert werden. Wülfrath war recht schnell damit, diese Vorgabe umzusetzen, findet Hoffmann.

Beim Betreten werden wiederum die verschiedenen Stile sichtbar. Dass die Kirche aus drei Schiffen besteht, spricht für den romanischen Stil. Um 1400 war das Mittelschiff aber offenbar baufällig, es wurde angebaut. Dabei wurde die Kirche insgesamt höher, ein Chor wurde angebaut. Um 1524 gab es eine weitere Renovierung des südlichen Seitenschiffs. Den Schlussstein kann man noch gut erkennen.

Viele dieser Elemente, besonders die, die nicht direkt von außen zu erkennen sind, hat die Gemeinde erst spät entdeckt. In den 1960er Jahren wurde die Kirche gründlich saniert und quasi „auseinandergenommen“, wie Christa Hoffmann es formuliert. Dabei kamen einige Schätze zutage, die wieder in die Kirche integriert wurden. Ganz besonders sind etwa die Fresken, die im Altarbereich unter vielen Schichten Putz gefunden wurden. Viele sind verblasst, sie richtig wiederherzustellen, ist sehr teuer. Manche lassen sich aber noch gut erkennen und offenbaren Zeitgeschichte. Während man heute beim letzten Abendmahl vor allem das berühmte Bild von Leonardo da Vinci vor Augen hat, wo Jesus und die Jünger an einer langen Tafel sitzen, sind sie auf dem Fresko an der Kirchenwand, das wohl um 1425 entstanden ist, um einen runden Tisch versammelt.

Die Fresken zeigen auf der linken Seite das Leben Jesu, im vorderen Bereich und auf der rechten Seite auch andere Sagen und Geschichten wie die von St. Martin oder die Hubertus-Szene. Was sich daraus zeitgeschichtlich ablesen lässt? Vor der Reformation konnten die wenigsten lesen, die Gottesdienste wurden zudem in lateinischer Sprache vorgetragen. Die Bilder an den Wänden halfen den Menschen also, von bestimmten Geschichten zu erfahren und an diese erinnert zu werden.

Unter dem Boden der Kirche wurde bei der großen Renovierung vor 50 Jahren auch ein altes Taufbecken gefunden, das jetzt im Altarbereich seinen Platz gefunden hat. Dieses Becken stammt wohl noch aus dem 12. Jahrhundert. Auch eine alte Konsole wurde hierbei gefunden. Die findet sich jetzt im vorderen Bereich des nördlichen Seitenschiffs.

Bei dem Umbau in den 60er Jahren wurden diese Teile entdeckt und in die Kirche integriert. Dabei wurde auch der Eingang zur Kirche verlegt. Wurde diese früher noch von der Seite betreten, ist der Eingangsbereich seitdem auf der Seite des Kirchturms. Auch die Orgel wurde vom südlichen Seitenschiff auf eine neu gebaute Empore verlegt. Das Instrument selbst ist aus der Zeit um 1700 erhalten geblieben.