Bildhauer Jörg Sasse: Feingefühl am harten Stein

Bildhauer Jörg Sasse (45) schafft mit seinen Grabmalen Kunstwerke, die dem Gedenken dienen, aber auch Skulpturen für den öffentlichen Raum.

Velbert. In den Regalen stehen Dosen mit Hartwachsöl, Abtönfarbe und Buntlack. Graue, hölzerne Schubladen mit den Aufschriften „Dübel“, „Schrauben“, „Nägel“, „Flex“ verteilen sich über den Raum. Auf dem Schrank sind ein Nashorn, ein Uhu und ein Elefant aufgereiht. Gesellenstücke der Lehrlinge aus früheren Jahren.

Jörg Sasse flaniert durch seine Bildhauer-Werkstatt am Waldfriedhof. Den Lackgeruch nimmt er schon nicht mehr wahr; kein Wunder, wenn man seit 28 Jahren in diesem Metier arbeitet. Hemd und Hose sind sauber, aber „das sieht in einer paar Stunden ganz anders aus“. Bildhauerei ist ein staubiges Geschäft, auch wenn über allem ein zwei Meter langes Absaugrohr schwebt.

Innerlich ist Sasse jedoch ein aufgeräumter Mensch: Aufrichtig, entspannt, aber mit Leidenschaft für seinen Beruf, erzählt der 45-Jährige von einer Kunst, die grobes Handwerk scheint, aber sensibles Arbeiten erfordert. Der Velberter machte seine Ausbildung im väterlichen Betrieb und ging auf Wanderschaft nach Österreich, Schweden, Italien und Russland. „Man muss die Welt selbst erfahren und nicht nur das Bild annehmen, das einem vorgesetzt wird.“ Seit 1991 Meister, übernahm er vor fünf Jahren den Betrieb, den Ehefrau Kirsten mitverwaltet und dessen Grundlage die Grabsteingestaltung ist.

Seine Arbeit ist Kontrastprogramm: Einerseits steht er in seinem Verschlag mit den staubvernebelten Fenstern, vermummt mit Schutzmaske und Gehörschutz, um mit dem dröhnenden Presslufthammer den Steinen Form zu geben — während gleich hinter der Hecke der stille Park liegt. „Ich genieße auch die Ruhe des Friedhofs, vor allem jetzt im Frühling, wenn die Azaleen blühen.“

Ein Ergebnis der Schöpfung — das ist auch die Qualität, die er an seinem Beruf schätzt: „Viele Menschen machen einen Job, bei dem von der getanen Arbeit nichts sichtbar wird. Wenn Sie Finanzbeamter sind, berechnen Sie abstrakte Zahlen, setzen einen Stempel drauf und das war’s. Mit meinen Händen schaffe ich etwas, das Bestand hat.“ Überdies gehe es um eine elementare Sache: „Um den Tod und darum, die Hinterbliebenen bei der Verarbeitung des Verlustes durch mein Handwerk zu unterstützen.“

Sasse erinnert sich an einen Jungen, der mit vier Jahren starb. Sein Grabstein zeigt einen roten Marienkäfer sowie einen Schmetterling, der den Stein hinaufflattert und als Symbol für die Auferstehung gilt. Dies sei eine tragische, doch kreative Herausforderung: „Schließlich möchte ich das Objekt so individuell wie möglich gestalten.“ Allerdings habe es in den vergangenen Jahren einen Wandel in der Friedhofskultur gegeben: „Es existieren immer mehr Wiesengräber, bei denen jeder eine Platte bekommt, die für alle Verstorbenen gleich ist.“ Dies sorge für Umsatzeinbrüche.

Ein weiterer Grund: Nach Schätzungen von Fachverbänden stammen 30 bis 60 Prozent der Grabsteine in Deutschland aus Indien oder China, weil die Lohnkosten dort niedriger sind. „Die bestellt der Steinmetz fertig aus dem Katalog.“ Für Sasse komme dies nicht infrage: „Blöcke aus Indien kaufe ich nur als Rohmaterial, um sie selbst zu verarbeiten.“

Die zunehmende Schlichtheit der Gräber sowie Importe trügen zu seiner drastischen Prognose bei: „Der Beruf hat keine Zukunft. Was nützt es meinen Azubis, wenn sie eine tolle Lehre erhalten, mit dem Gelernten aber nichts anfangen können?“ Seit sechs Jahren habe er niemanden mehr ausgebildet, der Betrieb sei von zehn auf vier Mitarbeiter geschrumpft.

Immer noch dabei ist Gregor Forst. Seit 40 Jahren arbeitet er in dem Familienunternehmen und hat technische und wirtschaftliche Veränderungen mitgetragen. Tradition, die besteht. Und vergeht.