Die ehrlichsten Beichten hörte Bruder Dietmar im Taxi
Der neue Klosterleiter erzählt davon, was es heutzutage bedeutet, ein Mönch bei den Franziskanern zu sein.
Neviges. Dietmar Brüggemann lebt in einer anderen Welt. Einer Welt, in der Geld keine Rolle spielen darf und in der andere bei seiner Freizeitplanung ein Mitspracherecht haben. Der gebürtige Sauerländer ist mit 19 Jahren Mönch geworden. Seit Neuestem leitet er das Franziskanerkloster in Neviges und versucht hier das, was er „die Begegnung von zwei Welten“ nennt.
Dem 56-Jährigen ist das Dilemma, in dem ein Mönch in der heutigen Zeit steckt, wohl bewusst. Da stehen die Traditionen auf der einen Seite — etwa die Kutte, die schwer mit religiöser Symbolik beladen ist — und der Versuch auf der anderen Seite, sich nicht von der Welt abzuschotten. Einmal hat Brüggemann sich in einer Schule vorgestellt. „Da kam zum Schluss ein kleines Mädchen zu mir und hat gesagt: ,Dann seid ihr ja ganz normale Menschen!’“, erzählt der Franziskaner mit einem Lächeln. „Das fand ich gut.“
Den zarten Bund zum Weltlichen nicht ganz zu verlieren, das ist besonders für einen Mönch wie Brüggemann, der als junger Mann ins Kloster ging, eine Herausforderung. „Ich kam von einem geschlossenen System ins andere. Heute würde ich einem jungen Mann sagen: Nimm dir erst einmal die Zeit für ein eigenständiges Leben“, sagt Brüggemann.
Diese Zeit hat sich der 56-Jährige dann einfach im Nachhinein genommen. Ein Jahr arbeitete er als Taxifahrer in Münster und fuhr Menschen nach Hause, von denen niemand ahnte, dass sie gerade mit einem Geistlichen im Auto sitzen. Der Job war eine große Chance für Brüggemann ohne Kutte den Kontakt mit den Menschen von nebenan aufzunehmen. Das Resultat verblüffte ihn: „Ich habe selten so offene Gespräche geführt wie im Taxi. Da habe ich die ehrlichsten Beichten erlebt.“ Die raue Wirklichkeit der Großstadtnächte half Brüggemann ebenso bei seinem Blick über den Rand des Klosters, wie die 13 Jahre, in denen er als Krankenhausseelsorger Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet hat.
Das Kloster ist ein System mit eigenen Regeln. Brüggemanns Gürtel hat drei Knoten, die für Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam stehen. Im Alltag bedeutet das, dass der 56-Jährige wie seine Ordensbrüder über kein eigenes Konto verfügt. Der Gang zum Frisör oder zur Eisdiele im Sommer muss wohl überlegt sein, denn ein Mönch verfügt lediglich über ein geringes Taschengeld. „Ich lebe mit einer Grenze“, sagt Brüggemann und lässt in seiner Stimme mitklingen, dass er den Wert daran erkannt hat.
„Ich finde es gut, mit abgezähltem Geld einzukaufen, weil viele andere das auch müssen“, sagt er. Über ein warmes Mittagessen oder saubere Kleidung müssen sich die Mönche jedoch keine Sorgen machen, das wird im Kloster übernommen.
Die Eigenheiten des Franziskanerlebens lassen einige Menschen vermuten, dass uniforme Strukturen im Kloster gelten. Doch da winkt Brüggemann ab. „Wir sollen möglichst alle als Originale sterben.“ Die Brüder gönnen sich am Sonntagabend gerne den Tatort und einen der Nevigeser Mönche kann man als Schalke-Fan im Stadion antreffen.
Trotzdem ist das Klosterleben nichts für den weltlichen Aussteiger, der vielleicht glaubt, an der Gemeinschaft der Mönche gefallen finden zu können. „Man braucht eine tiefe persönliche Beziehung zu Gott, sonst kann man direkt einpacken“, berichtet der Franziskaner. Bewerber werden gründlich auf ihre gefestigte Persönlichkeit hin überprüfen.
Wenn ein junger Mann einfach so vor den Toren des Klosters steht, ist das für die Brüder fast automatisch ein Grund, misstrauisch zu werden. „Man muss sich ja fast schon fragen, was der bei uns im Altersheim will“, sagt Brüggemann mit einem Augenzwinkern. „Junge Leute gehen eigentlich nur zu jungen Leuten“, stellt er fest. Eine Herausforderung für die Mönche, von denen es deutschlandweit nur noch 350 gibt — denn zwei Drittel der Franziskaner sind im Ruhestandsalter.