Entfremdung führt zu Kirchenaustritten
Diakon Michael Anhut spricht über die aktuellen Herausforderungen und Chancen der Katholischen Kirche.
Die Zahl der Kirchenaustritte ist so hoch wie nie. Woran liegt’s?
Michael Anhut: Der Kirchenaustritt ist ja nur der letzte Schritt einer persönlichen Entwicklung. Am Anfang steht in der Regel eine Entfremdung.
Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie die Menschen und reichen von Unverständnis über persönlichen Ärger mit „Gottes Bodenpersonal“ bis zu äußeren Anlässen wie die entsetzlichen Missbrauchsfälle und den Umgang mit Geld.
Scheidungen, Homosexualität, Kopfschütteln über den Zölibat: Auch in Wülfrath sieht die Lebensrealität vieler Menschen anders aus als von der Katholischen Kirche propagiert.
Anhut: Wegweiser sind ja dazu da, um Menschen einen Weg zum Ziel zu weisen. Das heißt nicht, dass es nicht auch andere Wege gibt — und wenn ich mich in einer Gegend auskenne, fahre ich auch mal Schleichwege.
Fahre ich mich dann aber fest, werde angehalten, verletze ich jemanden oder komme nicht an, muss ich das auch selbst verantworten. Die Ausrede „Das machen doch alle“ hilft dann nicht weiter.
Lassen sich „Wegweisungen von oben“ eigentlich noch durchhalten?
Anhut: Jesus war oft mit den Menschen auf Schleichwegen im Gespräch, vielleicht stünde uns als Kirche das auch ganz gut. Menschen auf ihre Sexualität, Beziehungsform oder andere Teilaspekte zu reduzieren und zu bewerten, sollte nicht unser Stil sein.
Geraten Sie mit dem, was Sie selbst für richtig halten nicht manchmal an die Grenzen dessen, was der katholische Glaube erlaubt?
Anhut: Ich bin zwar Diakon, aber eben auch Michael Anhut. Im Optimalfall ist das zwar das Gleiche — in Grenzsituationen muss ich mir aber auch sagen, dass ich, hoffentlich kluger Verwalter, aber nicht Eigentümer der frohen Botschaft und der Sakramente bin.
Und wie lässt sich das umsetzen?
Anhut: Wichtig ist mir, dass Menschen sich angenommen fühlen, so wie sie sind. Auch wenn ich ihre Lebenssituation dann vielleicht nicht legitimieren oder besiegeln darf. Und dass ich auch mal sagen darf, dass ich ein Verhalten nicht richtig finde, auch wenn dieses Verhalten vom Zeitgeist legitimiert wird. Pastor Langel sagte kürzlich, die Kirche denke mit Blick auf Veränderungen in Jahrhunderten.
Glauben Sie, dass noch so viel Zeit bleibt?
Anhut: Wer den Zeitgeist heiratet, ist morgen schon Witwer. Ich mag an meiner Kirche, dass sie nicht jedem Trend hinterherläuft. Dadurch wirkt sie natürlich auch schwerfällig.
Die Gewissensnöte, die ich Menschen in ihren vielleicht nicht kirchenkonformen Lebenssituationen zugestehe, muss ich aber auch den Bischöfen auf der Suche nach neuen Wegen zugestehen, die ja immer auch Gottes Wege sein müssen.