Erfolg in ganz kleinen Schritten

Freiwilliges Jahr: Ein Wülfrather hilft im Friedensdienst in einem israelischen Heim für Autisten.

Wülfrath/Tel Aviv. Winde des Wandels von Südost. Konservierte Wärme. Die Wüste haucht einen staubigen Gruß, Erinnerungen an einen Sommer, die nicht meine sind. Trotzdem bin ich lange genug hier, um einen Wechsel zu bemerken. Offensichtlich: Jedermann trägt lange Klamotten. Und morgens zittere auch ich an Tagen, die sich wundersam zu deutschem Sommerwetter bekehren. Kein Tag wie der andere, auch im Kfar.

Gestern noch war Dotan, der herzerweichend die Stirn runzelt und dabei traurige Lieder summt, dem Ruhepunkt so nah wie noch nie. Vor meiner Zeit biss er sich, schlug den Kopf an und verteilte Ohrfeigen an sich und andere. Es war weniger geworden, je mehr sich seine Umgebung (das sind hauptsächlich wir Betreuer) zum täglichen Zubehör entwickelte. Mehr Lieder, weniger Nervosität. Bis gestern. Zu sagen "Zurück auf Los!" , das ist zynisch genug. Aber ich habe gelernt, mich an die kleinen Fortschritte zu klammern, um bei den großen Rückschritten, die zu dieser Jahreszeit bei vielen Bewohnern des Kfars gleichzeitig auftreten, nicht den Mut zu verlieren.

Die Arbeit im Kfar Ofarim ist anders als ich dachte. Kein Wunder, hatte ich doch zuvor noch nie einen Autisten gesehen, geschweige denn ihn durch den Tag begleitet. Nie vergesse ich wie am ersten Tag ein "friend" von einem jungen Mitarbeiter angezogen wurde. Begleitet von kurzen Anweisungen, wurde dem stoisch dreinblickenden Freund Teil um Teil angelegt. Unwillkürlich verglich ich die Situation mit einem Bild in meinem Kopf: ein Ritter, die Augen in weite Ferne gerichtet, wird von seinem Knappen für ein Turnier gerüstet. Doch statt zum Turnierplatz gingen wir zum Tisch, wo bereits das Frühstück bereit stand.

Ich stellte erleichtert fest, dass die Menschen, die ich vor mir hatte, nicht allzu argwöhnisch Fremden gegenüber sind. Eine Überraschung war, dass ein "die Hand geben" schlimmstenfalls mit Nichtbeachtung beantwortet wurde. Ich durfte unter liebevoller Anweisung meiner "Chefinnen" einen Freund eincremen. Das heißt, möglichst sollte er das selbst tun. Yotam jedoch verteilte die Sonnencreme zwar selbst auf seinen Händen, schmierte sie sich dann jedoch auf die Hose und guckte mich mit seinen dunklen "Hundeaugen" unverwandt an. Guter Zuspruch half (und hilft heute noch nichts), also musste ich selbst die Creme verteilen. Viele solcher Situationen sollten folgen. Was ich gesehen habe, reicht zu folgendem Schluss: Es sind nicht genug Mitarbeiter. Denn jeder der Autisten bräuchte eine Einzelbetreuung! Der Status ist nicht viel mehr denn ein Aufpassen auf die Gruppe.

Zuwendung zum Einzelnen führt meist dazu, dass ein anderer Freund wegläuft, ein Papier auf-isst, sich den Kopf anschlägt, während man nicht hinsieht. Doch wo immer man das Chaos eindämmt, so entstehen neue Herausforderungen. Oft wird einer von uns zur Aushilfe in eine andere Gruppe abgezogen. Dann müssen die Verbliebenen für neun denken und handeln.

Drei Monate seit Beginn meines Freiwilligenjahres wird die Arbeit langsam zur Routine, ist aber sehr fordernd. Sie ist monoton, weil man immer das gleiche sagen, tun muss. Erfolge werden im Millimeterbereich erzielt, doch selbst kleine Fortschritte in der Interaktion bereiten Freude. Weil sie so selten sind. Ich versuche immer wieder, Zeit für den Einzelnen zu stehlen, denn nur diese Augenblicke sind wirklich lohnend. Dafür muss ich mehr als ausgeschlafen sein.