Mit 35 Mörderinnen in einer Zelle
Regina Labahn war in den 1980er Jahren im Frauenzuchthaus Hoheneck inhaftiert. Die heute 66-Jährige berichtete in der Medienwelt über ihre Erlebnisse.
Wülfrath. Im Juni 1980 hatten Regina Labahn und ihr Mann Karl-Heinz „die Schnauze voll“. Voll von Repressalien. Voll von fehlender Perspektive. Voll von dem Leben in der DDR. Also stellten sie einen Ausreiseantrag für sich und ihre drei Kinder. Über vieles kann Regina Labahn mittlerweile lachen. Das meiste ist aber ernst — und ein Teil ihres Lebensweges. Davon berichtete die 66-Jährige, die nunmehr seit über zehn Jahren in Wülfrath lebt, am Donnerstag in der Medienwelt.
Kurze Zeit nach ihrem Ausreiseantrag — so erzählt Labahn — seien die Kinder nicht mehr aus der Schule zurückgekommen. „Sie wurden aus der Schule entführt und in ein Heim gebracht.“ Die gemeinsame Wohnung wurde verwüstet, Mobiliar zerstört, vieles gestohlen. Auch ein weiterer Ausreiseantrag blieb erfolglos. Die Bedingung: Das Ehepaar sollte sich von den Kindern lossagen und alleine in den Westen machen. Für Regina und Karl-Heinz Labahn unvorstellbar. So suchten sie Unterschlupf bei der evangelischen Kirche.
Hier riet man ihnen, einen Antrag auf staatenlosen Ausweis zu stellen. In diesem Antrag erklärte das Ehepaar im Winter 1983, dass sie mit den Gesetzen des Staates und deren Handhabung nicht einverstanden seien. Dass sie das Gefühl hätten, keine Rechte zu haben und sie deshalb als Staatenlose leben wollten.
Drei Tage später, erinnert sich Labahn, wurden sie festgenommen. Nach der Untersuchungshaft im Berliner Gefängnis Hohenschönhausen folgte eine Gerichtsverhandlung. Das Urteil: eineinhalb Jahre Haft für sie und ihren Ehemann. Regina Labahn wurde daraufhin ins Frauenzuchthaus Hoheneck in Stollberg verlegt. „Als ich dort ankam und auf dem Hof stand, habe ich zum ersten Mal geweint“, sagt sie.
Eingesperrt wurde sie mit 35 anderen Frauen in einer Zelle. Die Hochbetten hatten drei Stockwerke — die damals 32-Jährige musste ganz oben schlafen. „Die 35 anderen Frauen waren allesamt Ehegatten- und Kindsmörderinnen“ — die Zusammenlegung der „politischen“ Labahn und diesen Straftäterinnen wohl ein Einschüchterungsversuch.
Der Gefängnisalltag war geprägt von Misshandlungen, Hunger, Kälte und Arbeitsdienst — für den Westen. „Ich war in dem Kommando, das Strumpfhosen nähen musste, die in den großen Kaufhäusern im Westen verkauft wurden.“
1986 kamen Labahns dann frei — und wurden aufgefordert, die DDR zu verlassen. Die große Tochter Kathi konnten sie ein knappes Jahr später wieder zu sich nehmen, die beiden jüngeren Söhne erst nach der Maueröffnung. Acht Jahre waren diese von den Eltern getrennt. Als sie den Eltern weggenommen wurden, waren sie gerade einmal drei und sieben Jahre alt. Die Tochter elf. Alle drei waren in getrennten Heimen untergebracht. „Unsere Kinder haben das gottseidank gut überstanden. Auch wenn sie nur wenig von ihrer Zeit im Heim erzählt haben“, sagt Labahn. Wenn sie mit anderen Frauen spricht, denen es ähnlich ergangen ist, berichten die oft anderes. Viele der Kinder hätten Schäden davongetragen, seien später auf die schiefe Bahn geraten.
Auch wenn sich für die Labahns im Endeffekt vieles zum Guten gewendet hat, sitzt der Schmerz immer noch tief. „Es gab nie ein Wort der Entschuldigung“, sagt Regina Labahn. Sie ist mittlerweile Vorsitzende des Vereins „Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen“. Gemeinsam wollen sie an das erinnern, was ihnen widerfahren ist. Jedes Jahr reisen sie zum ehemaligen Gefängnis, legen Kränze nieder. Labahns Eindruck ist, dass dieser Teil der Geschichte noch nicht genug aufgearbeitet ist. „Die Schließerinnen und Wärterinnen von damals, die Schuld auf sich geladen haben, haben nie dafür gerade stehen müssen“, sagt sie.