Musical von den "Eintagsfliegen": Das überwachte Schülervolk
Uraufführung für das Musical „Eintagsfliegen“: Das 30-köpfige Ensemble bietet radikales Theater zum Nachdenken.
Velbert. Die Geschichte ist anfangs so schwer zu durchschauen wie der halbdurchsichtige Vorhang, hinter dem sich das 30-köpfige Ensemble zum Auftakt versammelt. Es ist eine düstere Zukunft, die das Musical „Eintagsfliegen“ der Musik- und Kunstschule präsentiert. Am Samstag wurde es im Forum Niederberg uraufgeführt.
Das Stück zeigt eine fremdbestimmte Gesellschaft, die in ihrem Tun zu Effizienz verpflichtet ist. Sogenannte „Life Coaches“ überwachen die Bevölkerung. Es offenbart sich ein diktatorisches System, in dem Schüler zehn Minuten Zeit haben, um ein Referat „über die Entstehung des Universums“ vorzubereiten und Aufseher in der Raststätte Espresso statt Tee anordnen, weil das schneller geht. „Nutze den Moment“ lautet das Mantra, das aus dem Mund der Führung so scheinheilig klingt wie das KZ-Motto „Arbeit macht frei“. Was persönliche Entfaltung vorgaukelt, soll stattdessen dem System dienen. Wer nicht kooperiert, landet im Gefängnis.
Wer das Queen-Musical „We will rock you“ kennt, findet Parallelen zur dort herrschenden Übermacht „GlobalSoft“. Darin bildet sich eine Rebellengruppe, die dem Lebensdiktat den Kampf ansagt. Zwar gibt es auch bei den „Eintagsfliegen“ mit Marcus ten Hompel und Jannik Kinder Widerständler, die Flugblätter verteilen („Stoppt den Kapitalismus!“), so wie es die Geschwister Scholl im NS-Regime getan haben; doch dieser Ansatz wird nicht weiter verfolgt. Überhaupt dient als einzig wirksamer Antrieb ein Countdown über der Bühne, der die verbleibende Lebenszeit anzeigt.
„Wenn man ein schulpflichtiges Kind hat, erschließt sich die Geschichte“, sagt Birgit Löbbert, deren Tochter Lea im Stück mitspielt. „Der Stress, dem schon Schüler ausgesetzt sind, wird hier dargestellt.“ Es sei „eine tolle Leistung, zumal es die Premiere war“, betont Rochus Ehlen. „Dass es in Velbert solch ein Angebot für Kinder und Jugendliche gibt, finde ich genial. Sie bekommen die Chance, professionell angeleitet zu werden. Jeder sollte diese Chance nutzen.“
Das beweist etwa Lara Szigat aus Heiligenhaus in der Rolle der Raststättenbesitzerin: Mit durchdringend-klarer Stimme und der Verzweiflungsballade „Nataschas Angst“ sorgt sie für den lichtesten Moment des Abends. Auch Camilla Erencin als Life Coach sticht mit ihrer erfrischenden Präsenz und Spielfreude aus dem Ensemble heraus.
Die technische Abmischung ist jedoch bedenklich: Das 35 Musiker starke Orchester übertönt oftmals den Gesang der Darsteller, wodurch die eigentlich poetischen Texte untergehen.
Blieb die Anteilnahme seltsam kühl, wird der Zuschauer im letzten Kapitel mit einer beängstigenden Szene konfrontiert, wenn die Hauptfiguren zu dissonanten Streicherklängen als Senioren erscheinen und sich mit Hockern, die an Gehwägelchen erinnern, mühsam die Bühne erkämpfen.
Dieses Musical ist kein Genussabend und keine Unterhaltung. Es ist gesellschaftsrelevantes Theater, das man in dieser Radikalität nicht erwartet hat.