Pilger trotzen dem Dauerregen
500 Wallfahrer aus Dülmen trafen am Samstagmorgen in Neviges ein.
Neviges. Es wirkte schon ein bisschen komisch, als die ersten Pilger aus Dülmen von Pater Frank Krampf mit auf dem Parkplatz mit Weihwasser begrüßt wurden. Der „Segen“ kam hektoliterweise von oben. Die treuen Wallfahrer aus dem Münsterland machten der alten Nevigeser Volksweisheit alle Ehre: Entweder sie bringen Regen mit oder sie nehmen ihn mit. Selbstverständlich waren die Pilger mit dem „Dülmener“ ausgerüstet, wie der Regenschirm volkstümlich nicht nur in Neviges, sondern auch in Werden heißt.
Dort trafen sich die rund 500 Pilger am Samstagmorgen in der Grabeskirche des Heiligen Ludgerus zu einer Messe und anschließendem Frühstück. Die Stärkung brauchten vor allem die rund 300 Fußpilger, ihnen stand der lange Anstieg aus dem Ruhrtal auf die Niederbergischen Höhen bevor, dabei wurde gesungen und gebetet. Getreu dem Motto „Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur unpassende Kleidung“ trotzten sie dem Dauerregen und kamen pünktlich am Reiger Weg an, wo sie in Empfang genommen wurden und zusammen mit den Buspilgern eine erste Andacht im Mariendom abhielten.
Helmut Kemner, Pilger
Mit dabei war Regina Heinrich. Die gebürtige Dülmenerin pilgerte 1956 zu ersten Mal mit ihrer Mutter zum Gnadenbild nach Neviges. Im Laufe der Jahre fand sie Gefallen am dem Sohn der Quartiersleute, es wurde geheiratet und sie zog in die Wallfahrtsstadt. Eine Besonderheit der ältesten Nevigeser Wallfahrt ist die Sturmandacht, ein Höhepunkt der Marienfrömmigkeit. Fast eine Stunde lang wird die Mutter Gottes mit Fürbitten „bestürmt“. Bei den Schlussfürbitten des „Ave Maria“ werden beide Hände erhoben so wie es kleine Kinder machen, die der Mutter beide Arme entgegen recken, um schützend hoch genommen zu werden. „Die Sturmandachten waren in der Nazizeit besonders gut besucht“, weiß Bruder Peter Fobes zu berichten. „Statt einem Arm zum Hitlergruß zu erheben, wurden beide Arme für Maria erhoben - ein stiller Protest gegen das Regime.“ Die Dülmener Wallfahrer kommen seit 1682 ununterbrochen nach Hardenberg, sogar in ganz schlechten Zeiten. Im Juni 1945, gut drei Monate nach Ende des Zweiten Weltkrieges, als fast die gesamte Infrastruktur zerstört war, kam eine kleine Gruppe nach Neviges und verblüffte die Franziskanerbrüder, die angesichts der widrigen Umstände nicht damit gerechnet hatten. In Dülmen ist die Wallfahrt eine verbreitete und gelebte Tradition, in der auch Fahnenträger Helmut Kemner steht. „Ich bin schon mit meinem Vater zigmal mitgegangen. Es gehen auch heutzutage viele Jugendliche mit ihren Eltern mit. Die Stimmung ist prima, jeder ist für jeden da.“
Die sonst übliche Prozession nach der Sturmandacht auf den Marienberg fand in diesem Jahr nicht statt. „Die Wege sind aufgeweicht und rutschig, dass ist zu gefährlich. Einige Pilger sind deutlich über 80, darum verzichten wir darauf“, erklärt Dirk Potthoff von der Dülmener Hardenbergbruderschaft. Bei der nächtlichen Prozession wird normalerweise das Gnadenbild in einer Tragemonstranz von starken Männer mitgeführt. Angesichts des Regens hatte man zusätzliche Bedenken um der Erhalt des Heiligtums, zumal der Diebstahl des Bildes im Februar Entsetzen unter den Gläubigen ausgelöst hatte. „Maria soll uns möglichst lange erhalten bleiben“, so der Wunsch des Dülmener Wallfahrtsleiter. „Wir könnten doch unsere Kopie aus Dülmen schicken“ so der der nicht ganz ernst gemeinte Vorschlag eines Pilgers. „Nein, die hat nicht zu uns gesprochen.“