Ratingen: Big Brother verkauft Brötchen
In einer Bäckerei in Ratingen hängen Kameras, die Kunden und Mitarbeiter, aber auch Passanten ohne deren Wissen filmen.
Ratingen. Auch wenn die Brötchen golden sind und nur wertvolle Zutaten verarbeitet werden: Eine Bäckerei gilt - anders als Banken oder Juweliergeschäfte - gemeinhin nicht als ein Geschäft mit besonderen Werten. Umso mehr verwundert es, wenn eine Bäckerei ihre Räume mit Überwachungskameras bestückt, die einem Geldinstitut alle Ehre machen würden.
So hat die alteingesessene Bäckerei Steingen, die seit 175 Jahren an der Straße Spee im Stadtteil Lintorf backt, gerade nicht nur in den Verkaufsräumen von Hauptgeschäft und Filiale mehrere Kameras installiert, sondern auch im nicht für Kunden zugänglichen Betriebsbereich.
Die Mitarbeiterinnen stehen der Videoüberwachung mit großem Misstrauen gegenüber. Auf die Kameras angesprochen, verdrehen sie die Augen. "Wir werden hier beschattet. Das ist doch ein Zeichen dafür, dass der Chef kein Vertrauen zu uns hat. So etwas gab es hier noch nie", empört sich eine Mitarbeiterin, die namentlich nicht genannt werden will."Man will uns überwachen, um zu sehen, wie viel wir arbeiten", vermutet eine andere Kollegin, die rechtlich prüfen lassen wird, ob ihr Chef legal handelt.
Um Zustimmung sei man nicht gebeten worden. Der Chef habe sie nur informiert worden, dass das "für unsere Sicherheit und wegen der Versicherung" sei."Das ist für die Sicherheit unserer Mitarbeiterinnen", erklärte Junior-Chef Stefan Steingen-Gerads auf Nachfrage der WZ. Nachdem kürzlich ein Ein-Euro-Laden überfallen wurde, habe er sich Sorgen und Gedanken gemacht. Der zweite Grund sei, dass er sofort sehen könne, wann die Mitarbeiterinnen im Verkaufsbereich Verstärkung brauchen.
"Wenn ich mal hinten einen Kaffee trinke, muss ich nicht ständig nach vorne laufen und schauen, ob Kunden gekommen sind."
Nur die allerwenigsten Kunden erkennen in den kleinen Glaskugeln an der Decke Kameras. Sie wissen nichts von der Filmerei. Das vorgeschriebene Schild mit dem Hinweis auf die Videoüberwachung findet sich in Bodenhöhe an der Glaseingangstür, klein wie eine Visitenkarte. An der Filiale am Ulenbroich fehlte es tagelang völlig.
Dort ist zudem problematisch, dass die Kamera direkt auf den Eingang und das große Schaufenster gerichtet ist. Damit werden automatisch auch Gehweg und Straßenbereich vor dem Geschäft gefilmt.
Steingen-Gerads bestreitet, dass die Backstube überwacht wird. Lediglich in der "Schmierecke", wo belegte Brötchen zubereitet werden, sei noch eine Kamera installiert.
Alle Bilder würden auf einen Monitor hinter dem Verkaufsraum aufgeschaltet - aus der Filiale per Funk. Steingen-Gerads: "Da kann jeder schauen, was los ist - wir haben nichts zu verbergen." Aufgezeichnet werde rund um die Uhr und "nach einem Tag automatisch gelöscht". Außerdem hätten ja viele heute Kameras - etwa die Apotheke gegenüber.
In der Tat wird auch in der Post-Apotheke Eingangstür und Verkaufsraum überwacht. "Damit wir im Büro sehen, wenn Kunden da sind", erklärt eine Verkäuferin. Das Hinweisschild an der Tür suchte dann auch sie allerdings vergeblich.