Sie drückt bald in Estland die Schulbank
Die Wülfratherin Lisa Brunßen besucht nach den Sommerferien die zehnte Klasse. Jedoch nicht im heimischen Gymnasium, sondern in der Großstadt Tallinn. Ein Jahr soll der Aufenthalt im Baltikum dauern.
Wülfrath. Wer im Urlaub etwas zum Anziehen haben möchte, kommt um das lästige Packen des Koffers einfach nicht herum. „Ich reise mit kleinem Gepäck“, hat Lisa Brunßen beschlossen. Das ist umso bemerkenswerter, weil die 15-Jährige jetzt nicht drei Wochen Sommerferien verbringt. Für die Gymnasiastin geht es ein Jahr lang nach Estland. „Läuft alles nach Plan, mach’ ich dort die zehnte Klasse.“ Zwischen Begeisterung und Vorfreude sowie bibbriger Aufgeregtheit schwankt Lisa im Moment. Am 16. August geht es nach Tallinn. „In eine Gastfamilie“, von der sie bislang noch nicht viel weiß. „Es gibt einen Vater, eine Mutter und zwei Kinder“, die sind elf und zwölf Jahre. „Dann bin ich mal nicht die Jüngste“, lacht sie. Ihre große Schwester hat sie zur Idee mit dem Auslandsaufenthalt inspiriert. „Sie hat unter anderem in Schweden studiert und von dem Leben und der Zeit dort geschwärmt.“ Also überlegte sich Lisa, in welches Land ihre Reise gehen könnte.
„Und dann erinnerte ich mich an Estland.“ In Klasse drei der Grundschule hatte sie mal ein Referat über Estland, das gerade von sich Reden macht, weil es im zweiten Halbjahr 2017 für Großbritannien die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen soll, gehalten. „Da gibt es sehr, sehr viel Natur, das Land grenzt ans Meer, zählt bloß um die 1,3 Millionen Einwohner und um die 1000 Inseln“, beschreibt sie markante Glanzlichter des Landes. Vor allem „sind die technisch weit entwickelt, in den Schulen läuft alles über PC“.
Nachdem sie den Zielort für sich ausfindig gemacht hatte, brauchte bloß noch die passende Organisation gefunden zu werden. „Ich wollte gerne was nicht so Kommerzielles nutzen“, beschreibt sie, warum die Wahl auf Youth for Understanding fiel. Über sie wurde sie auf die Walbusch-Jugendstiftung aufmerksam, bei der sich die Schülerin um ein Stipendium bewarb. „Ich habe ausführlich beschrieben, warum ich eine geeignete Kandidatin bin“ — so erhielt sie den geldwerten Zuschlag von etwa 3000 Euro.
Lisa Brunßen
„Meine schlimmste Horrorvorstellung ist, in Estland niemand kennenzulernen und ganz allein zu bleiben“, beschreibt sie ihren persönlichen GAU. „Eigentlich bin ich eher scheu, wenn es darum geht, auf Fremde zuzugehen.“ Anstelle sich hinterm Laptop zu vergraben, um mit der Familie und Freunden in sozialen Netzwerken zu kommunizieren, lernt sie jetzt schon per Online-Kurs Estnisch. „Ich kann sagen, wie ich heiße, zählen und die Wochentage aufzählen“, beschreibt sie erste Erfolge. „Die Esten sprechen alle gut Englisch, und das kann ich auch.“
Klar wird sie Geschwister, Eltern und Freunde vermissen. Wenngleich zwei der besten Freundinnen selbst auf Tour sind, die eine in Amerika, die andere in Lettland. „Viele von der Schule wussten erstmal gar nicht, wo Estland liegt“, und für sie ist es die erste Reise, die so ganz anders ist.
„Bislang war ich mit der Familie vor allem in den Niederlanden und Österreich“, Griechenland und Ägypten wurden auch schon bereist. Das aber ist jetzt vor allem der erste Alleingang. „Eigentlich würde ich mich nicht als mutig bezeichnen.“ Wie es ihr vor Ort ergeht, wird sie per Blog erzählen.
Kurz vorm Abflug Mitte August ist noch eine Abschiedsparty mit allen Lieben geplant — und dann geht’s mit leichtem Gepäck los. „Ich muss mir Wülfrath noch mal genau ansehen.“ Denn im Gastland werden die neue Familie, Bekanntschaften und Freunde wissen wollen, was es mit der Kalkwerkerstadt jenseits des prominenten Uhus „Uwe“ so auf sich hat.