Velbert: Major Thomas - Vom Besatzer zum Freund
Als britischer Stadtkommandant leitete Walter Ian Thomas nach dem Krieg 15 Monate lang die Geschicke Velberts. Mit der Familie Witte, die für ihn ihr Haus räumen musste, entstand eine enge Verbindung.
Velbert. Er trägt den gleichen Namen wie ein Velberter Bürgermeister, als einstiges Stadtoberhaupt ist Walter Ian Thomas aber wohl den wenigsten bekannt: Nach dem Zweiten Weltkrieg war der britische Major, Begründer der Missionsgemeinschaft der "Torchbearer" (Fackelträger), zunächst 15 Monate Stadtkommandant.
Auf Einladung der Evangelischen Allianz Velbert besuchten jetzt seine Witwe Joan sowie Sohn Mark Thomas die Schlossstadt. Denn obwohl Walter Ian Thomas 2007 verstarb, bestehen die Kontakte bis heute.
Thomas wurde 1914 in London geboren und war bereits vor 1939 als evangelikaler Prediger tätig. Als Infanterist im City of London Regiment der Royal Fusiliers lernte er die Schrecken des Krieges von Dünkirchen bis zur Eroberung von Monte Cassino (Italien) kennen. Dort nahm der britische Offizier im Mai 1944 nach einem der längsten und blutigsten Waffengänge jener Jahre die Kapitulation der deutschen Besatzung entgegen.
Dann führte ihn der Weg ins Rheinland, wo die Briten die US-Besatzungstruppen ablösten. Wann genau der Major in Velbert einzog, ist nicht mehr festzustellen: "Anhand von Briefen, die er meiner Mutter schrieb, lässt sich seine Dienstzeit etwa auf den Zeitraum August 1945 bis Oktober 1946 eingrenzen", so Mark Thomas.
Zur Unterbringung ihrer Offiziere beschlagnahmten die Briten zahlreiche Wohnhäuser und Firmengebäude - eine Aufstellung aus jener Zeit liest sich wie eine Prominentenliste der Velberter Industrie: Namen wie Hülsbeck und Berninghaus, Hammel und Engels, Fliether und Velleuer finden sich unter den Privatquartieren wie auch bei den beschlagnahmten Firmengebäuden; außerdem Gaststätten und Büros wie der Sitz der Industrie- und Handelskammer (Nedderstraße).
Der Kommandant zog ins Haus der Familie Witte an der Hindenburgstraße (heute Friedrich-Ebert-Straße), die dazu ausquartiert wurde - ein Vorgehen, das dem Major offenbar nicht leicht fiel, wie ein Brief an seine Frau aus jenen Tagen zeigt. Von Hans Witte, dessen Sohn Eberhard der Offizier mit Schokolade zu trösten versuchte, gibt es ein Schreiben, in dem sich der Velberter Unternehmer für die Anteilnahme bedankt und darüber froh zeigt, durch den gemeinsamen Glauben verbunden zu sein.
Über die Arbeit des Militärangehörigen Thomas in der Schlossstadt findet sich heute nicht mehr viel, jedoch über den Christen, der schnell Kontakt zu Velberter Christen knüpfte. Erschüttert habe seinen Vater die Orientierungslosigkeit der Jugend, berichtet Mark Thomas - sie stand nach Diktatur, Krieg und Zusammenbruch vor dem Scherbenhaufen all dessen, was sie bisher geglaubt hatte. So lud der Major 1948 in Zusammenarbeit mit der britischen Regierung 30 junge Deutsche, darunter die beiden Velberter Ernst-Karl Fricke und Eberhard Witte, nach England ein - in einer Zeit, als Versöhnung oder gar Freundschaft der geschundenen Völker noch in unendlicher Ferne zu liegen schienen.
Im Rahmen seiner späteren missionarischen Tätigkeit besuchten Walter Ian Thomas und seine Frau in den Jahren 1949 bis 1951 mehrmals Deutschland, und Velbert war Stützpunkt seiner Aktivitäten: "Wir waren damals Gäste bei den Wittes", berichtet Joan Thomas. Damit sie und ihr Mann durch Deutschland reisen konnten, habe die Familie sogar ihren dreijährigen Sohn Peter in ihre Obhut genommen. Bei der Velberter Familie habe sie den besten Kaffee ihres Lebens getrunken. "Und solch leckere Sahnetorte wie dort gab es nirgendwo in England", erinnert sich die 89-Jährige noch heute: "Für mich war das Haus der Familie Witte wie eine zweite Heimat."