Kempen 1051 Fragen bis zum Führerschein

Im Sommerkurs der Deula basteln viele Jugendliche an ihrer Fahrerlaubnis. Die WZ hat ihnen dabei über die Schulter geblickt.

Foto: Kurt Lübke

Kempen. „Der erste Gedanke ist meistens der beste“, raunt mir Fahrlehrer Dirk Hebbecker zu und lächelt. Wäre ich ein echter Prüfling mit ausgefülltem Anmeldeformular und säße ernsthaft vor diesen Fragen auf dem steinigen, Pardon, asphaltierten Weg zum Pkw-Führerschein, müsste man seine unerlaubte Hilfestellung tadeln .

Aber ich simuliere die „Theorie“ bei der Deula in Kempen unter seiner Aufsicht nur, diesen 30-Fragen-Test mit Zufalls-Generator. Und so folge ich Hebbeckers Wink mit dem Zaunpfahl, belasse es bei zwei Kreuzchen und klicke „weiter“.

Wo muss sich das rote Auto einordnen, wenn es auf der dreispurigen Fahrbahn mit zwei Linksabbiegerspuren an der Ampel links, dann aber sofort wieder rechts abbiegen will? Die Formulierung klingt vertraut, auch wenn ich zuletzt vor 30 Jahren solche Fragen schriftlich beantwortet habe. Fahrpraxis ist seitdem meine tägliche Bewährungsprobe.

Manches ist vertraut. Vieles anders. Alles moderner. Früher machte man in der Theorie sein Kreuzchen auf einen Papierbogen, heutzutage sitzt man am Computer. Fotos können vergrößert, Videos eingespielt werden. Man kann sie mehrmals hintereinander ansehen, bevor man sich schließlich zur Beantwortung durchringen muss.

Eines aber ist genauso wie in den 80ern: Es gibt Fahrlehrer wie Dirk Hebbecker und seine Kollegen, die einem alles über Gebote und Verbote, Gefahren und Verfahren, Fahrzeuge und Schilder im Straßenverkehr beibringen (müssen) und Fahrschüler, die sich die richtigen, auch Mehrfach-Antworten zu 1051 Fragen merken müssen.

Bei der Deula in Kempen haben sich 22 junge Leute zu einem Sommerkurs angemeldet. Sie wohnen vor allem im Kreis Kleve, im Kreis Viersen, einer kommt aus Greifswald. Der Wunschgedanke aller — von Eltern unterstützt: In drei Wochen vom Beifahrer zum Fahrer werden. Zwölf mal 90 Minuten pauken die jungen Leute dafür die Theorie. Fahrstunden gibt es vom ersten Tag an parallel. Die meisten benötigen 25 „Stunden“ à 45 Minuten.

Gerd (17) steht vor seiner Ausbildung zum Dachdecker. Er will die Fahrerlaubnis für den Pkw (Klasse B) vorher in der Tasche haben.

Julia ist mit noch 16 Jahren die Jüngste in der Gruppe. Sie freut sich darauf, bald am Steuer zu sitzen. Ihre Eltern sind auf ein Jahr begleitendes Fahren eingestellt.

Silas (17) hat den „Vater eines Freundes“ für den Beifahrersitz angemeldet. Jessica hofft, dass sie die theoretische und praktische Prüfung im ersten Anlauf schafft: „Mein Auto steht schon in der Firma meines Vaters.“

Nadine aus Willich (17) hat Geld, das sie vor drei Jahren zu ihrer Konfirmation bekommen hat, für den Führerschein zurückgelegt. Rund 1500 Euro kommen an Kosten für jeden zusammen. Manchen haben die Eltern die Summe spendiert, andere Schüler — wie Julia — haben durch Jobs dazu verdient.

René hat bereits Autobahnfahrten hinter sich: „Fand ich einfach“, sagt er. Julia hingegen waren die gefahrenen und auf dem Tacho erreichten 120 km/h „zu schnell“.

Führerschein im Sommer, das heißt zuweilen auch früh aufstehen. Sonja ist bereits um 4.30 Uhr in den Wagen gestiegen, um bis 6.45 Uhr die vorgeschriebenen Beleuchtungsfahrstunden zu absolvieren.

Jessica hat zehn Fahrstunden hinter sich und immer noch ein mulmiges Gefühl, wenn sie an einer Kreuzung vor der roten Ampel oder dem Stoppschild steht und gleich wieder anfahren muss. „Das Abwürgen des Motors“ ist aber auch so eine Sache, sie begleitet fast alle Fahrschüler auf den ersten Kilometern in fremden Autos.

René erzählt: „Bei mir hat mal jemand gehupt, als mir der Motor ausgegangen ist.“ Absolut überflüssige Reaktion der Autofahrerin hinter ihm. Die Retourkutsche des Fahrlehrers hat René gefallen: „Ich durfte zurückhupen.“

Die Reaktion imponiert den jungen Leuten. Überhaupt halten sie viel von Fahrlehrern, die ruhig bleiben und „nicht gleich hochgehen“.

Viel aufmerksamer als früher sind die Fahrschüler, wenn sie nun als Beifahrer mit ihren Eltern, Großeltern oder Freunden im Wagen sitzen. „Mein Opa vergisst eigentlich immer den Schulterblick“, sagt einer.

Den berühmten und verbotenen „Rollstopp“ erleben die Jugendlichen ebenfalls häufig bei Langzeitführerscheinbesitzern: Nicht an der Linie vor dem Stoppschild anzuhalten, sondern noch ein bisschen zu rollen — „da würde man durch die Prüfung rasseln“, sagt Hebbecker.

Der Leiter der Deula-Fahrschule hat in 21 Jahren viel Fahrlehrer-Erfahrung gesammelt. Seine Aufmerksamkeit im Straßenverkehr sei heute mehr gefordert als früher, sagt er. „Es geht ja nicht nur um die Fehler der eigenen Schüler, sondern auch um die der anderen Verkehrsteilnehmer.“

Hebbecker wünscht den Jugendlichen von heute „mehr Selbstbewusstsein. Heutzutage regeln Eltern vieles für ihre Kinder, treffen zu viele Entscheidungen für sie“.

Wie er die Chancen seiner 22 Fahrschüler im Sommerkurs einschätzt, darüber sagt Hebbecker nicht viel. Nur: „Wir kennen alle unsere Fahrschüler, aber nicht die Prüflinge.“

Führerschein in den Sommerferien — das klappt tatsächlich nur, wenn alles klappt: Wer durch eine Prüfung, theoretisch oder praktisch, rasselt, muss zwei Wochen pausieren, ehe er wieder antreten kann.

Scheitern kann passieren. Bei zehn Fehlerpunkten in der Theorie ist man durchgefallen. Mein Selbstversuch endet mit neun Fehler bei drei falsch beantworteten Fragen. Ich bleibe also knapp unter der Marke, hätte bestanden. Oder auch nicht. Wenn der freundliche Herr Hebbecker nicht aus dem „Ernstfall-Modus“ runtergeschaltet hätte.