Aus Elternsicht Kinder in der Corona-Krise: „Alles nur wegen dem Sürus!“

Kempen · Wenn man das Coronavirus und seine Folgen Kindern erklären muss, stößt man an seine Grenzen. Ein Erfahrungsbericht vom Kempener WZ-Redakteur Tobias Klingen.

Die Kempener haben verstanden. Seit Tagen herrscht auf dem Spielplatz an der Kreuzkapelle, den auch der Klingen-Nachwuchs sonst so gerne nutzt, gähnende Leere.

Foto: WZ/Tobias Klingen

Bei uns im Kaufladen im Kempener Süden gibt es eigentlich noch alles: Milch, Zucker, Eier, Frischkäse, Seife. Diese Dinge kann ich dort nahezu jeden Tag bestellen und bekomme sie in mein Körbchen gelegt. Wie bitte? Ob es dort noch Klopapier gibt? Nein, das hatten die da aber auch vor der Coronakrise nicht. Der Laden, von dem ich hier berichte, ist kleiner als handelsüblich und steht im Zimmer meiner dreijährigen Tochter Nele. Täglich verkauft sie meiner Frau und/oder mir – unterstützt von ihrem fünfjährigen Bruder Moritz – die wichtigsten Dinge für den Alltag. Im Moment spielen wir deutlich häufiger mit dem Kaufladen als vor dem Kita-Shutdown. Irgendwie schön.

Ansonsten gibt es aber derzeit viele Situationen, die die Kinder und auch wir als Eltern „irgendwie komisch“ finden. Wie erklärt man dem Nachwuchs, der derzeit nicht in den Kindergarten darf, die Coronakrise? Ein Erfahrungsbericht.

Es war Mitte der vergangenen Woche, als ich nach einem weiteren unfassbaren Corona-Tag in der Redaktion nach Hause kam. Frau und Kinder waren bereits im Badezimmer – eine gute Stunde noch bis zum Schlafengehen. Es war der Tag, als die Landesregierung den Erlass zur Sperrung der Spielplätze veröffentlicht hat. Als ich nach Hause kam, hatte meine Frau den Kindern schon erklärt, dass nun weder der Röhren-, noch der Stangen-, noch der Seilbahnspielplatz betreten werden darf. Das erklärten Moritz und Nele mir dann auch in aller Ausführlichkeit. „Wegen Corona“, sagte Moritz letztlich. Und seine Schwester ergänzte: „Das ist alles nur wegen dem Sürus!“ Dann lachten wir alle vier. Nele wusste zwar nicht, warum. Aber wir lachten, laut und lange.

Mein Eindruck ist, dass die Corona-Erklärungen von meiner Frau und mir noch recht simpel von der Hand gehen. Kindergartenkinder denken da ganz praktisch, sie denken irgendwie von Tag zu Tag. Eine Herangehensweise, die wir im Moment ja alle umsetzen. „Heute war ein schöner Tag, Papa“, sagt mein Sohn manchmal, wenn er abends im Bett liegt. Er schätzt im Moment ein paar Freiheiten. So komisch das klingt, denn im Kindergarten mit Gruppen à 30 Kindern herrscht nun mal eine klare Struktur. Eine deutlich klarere als in einer vierköpfigen Familie mit Home-Office. Und so schätzt Moritz sehr, dass er morgens mit Papa im Garten mit Akkuschrauber und Bohrer werkeln kann. Und natürlich schätzen beide Kinder, wenn im Moment via Netflix die eine oder andere Folge mehr ihrer Lieblingsserien ausgestrahlt wird.

Nach trüben Momenten geht es wieder pragmatisch weiter

Dennoch gibt es trübe Momente. Dann, wenn die Kinder ihre Freunde vermissen und sie unbedingt treffen wollen: „Jetzt“ – ein bestimmendes Wort, das Nele auch außerhalb der Coronakrise gerne und laut benutzt, wirkt im Zusammenhang mit dem Vermissen ihre Freundinnen noch eindringlicher. Auch Moritz hat diese Momente, in denen er zu seinen Freunden will. Ähnlich verlaufen die Situationen, wenn „Oma und Opa Kempen“ beziehungsweise „Oma und Opa Grefrath“ fehlen. Wenn die Tränen getrocknet sind, wird „das mit dem Sürus“ noch einmal erklärt und es geht pragmatisch weiter.

Fragen hat vor allem mein Sohn. Das ist kein neues Phänomen. Die hat der kleine – pardon große – Forscher sonst auch. Aber auf der Suche nach Antworten auf manche Fragen und damit verbundenen Skurrilitäten dieser Krise stoße ich – ehrlich gesagt – an Grenzen. Wie würden Sie denn einem Fünfjährigen erklären, dass weder Edeka noch Aldi ausreichend Klopapier haben? Mir ist es jedenfalls noch nicht plausibel gelungen. Auf meine Antwort-Versuche reagierte Moritz bislang mit seinem Blick à la „Wie bekloppt ist das denn?“. Wie Recht er hat: Gewisse Ströme der Idiotie in unserer Gesellschaft können Sie einfach einem Kind nicht erklären. Ich verstehe es ja selbst nicht, dass sich einige offenbar von dieser Krise derart bedroht fühlen, dass sie erstmal WC-Papier im Keller horten. Sicher ist sicher. Und eben ganz schön verrückt.

Meine Frau und ich strahlen viel Zuversicht aus, versuchen den Kindern Halt zu geben. Wir stellen den Spaß in der Krise in den Vordergrund. Zudem achten wir insbesondere darauf, dass die schlimmen Nachrichten via TV oder Radio nicht bei unseren Kindern landen. Aber darauf haben wir auch schon vor Corona geachtet.

„Wir schaffen das.“ Dieses Merkel-Zitat höre ich mich in Gesprächen mit den Kindern häufig sagen. Das mag jetzt womöglich abgedroschen klingen. Zudem ist das Zitat bei vielen negativ belegt. Aber warum eigentlich? Merkels Aussage im Zuge der Flüchtlingskrise ist aus meiner Sicht gültig und wahr. Mir hat jedenfalls noch keiner bestätigen können, dass wir die Aufnahme und die Integration der vielen Flüchtlinge nicht bewältigt haben bzw. bewältigen werden. Daher verwende ich den Satz inzwischen guten Gewissens und voller Überzeugung, nicht nur gegenüber meinen Kindern. Moritz und Nele sind übrigens völlig überzeugt davon, dass wir’s schaffen. Das liegt aber nicht an mir oder Merkel, sondern eher an Bob, dem berühmten Baumeister: „Yo, wir schaffen das!“