Die Horsters sind verliebt in ihr schiefes Raumwunder

Dieter Horster ist Ur-Kempener. Er wohnt seit seiner Geburt im scheinbar kleinen und schiefen Haus an der Orsaystraße. Seit 1979 teilt er das Denkmal mit seiner Frau Rita.

Kempen. Das kleine Fachwerkhaus ist so schief, als hätte es sich Jahrhunderte gegen eine steife Brise von Norden ge-stemmt, aber trotzig nur wenige Zentimeter preisgegeben.

Dabei steht es mitten in Kempen, an der Orsaystraße, und liegt — von Winden unbehelligt — so geschützt, dass man seine wahre Größe nicht einmal erahnt.

Foto: Kurt Lübke

Ein geducktes Häuschen mit winzigen Fenstern, krummen Wänden und steilen Stiegen? Wer den äußeren Schein des Seitenanblicks aufs gesamte Hausinnere überträgt, der hat hier und da recht. Den wird aber das historische Gemäuer auch verblüffen.

„Viele denken, wir könnten keine Schränke stellen“, sagt Rita Horster. Die Kölnerin lebt seit ihrer Heirat in Kempen, zog 1979 in das Elternhaus ihres Mannes Dieter: Der ist hier verwurzelt, wie ein Ur-Kempener nur verwurzelt sein kann: „Ich habe noch keinen Tag meines Lebens woanders gewohnt als hier.“

Nun bittet er hinein. Dieter Horster öffnet die Haustür an der Orsaystraße 6 für die WZ. Eine Selbstverständlichkeit für ihn. Er ist Bewohner und Besitzer in der vierten Generation. Und liebt dieses Haus.

Stufen rauf, durch die Haustür, rechts durch den Flur, noch eine Tür, eine steile Stiege, wieder ein Flur, weitere Türen — gut, dass der Hausherr vorangeht. Er bittet ins Wohnzimmer, einen stattlichen Raum im ersten Stock mit mehreren Fenstern. „Da schaut man zur Kuhstraße hinaus“, sagt er und verrät damit, warum das Häuschen sich im Kern als Raumwunder entpuppt.

Denn wer den Wohnraum auf das sichtbare Fachwerkhaus an der Orsaystraße reduziert, vertut sich damit, dass das Gebäude an der Kuhstraße 35, in dem sich in Parterre der Frisör-Salon Horster befindet, auch noch zum Elternhaus von Dieter Horster gehört.

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Der Fander-Anbau, wie Horster ihn nennt, der Anfang der 80er Jahre an der neu geschaffenen Straßenecke entstanden ist, lässt die Sicht auf das Fachwerkhaus der Horsters in Gänze nicht mehr zu.

„Mein Urgroßvater Heinrich Horster, damals einer von zwei Polizisten in Kempen, hat das Haus Ende des 19. Jahrhunderts erstanden.“ Das Fachwerkhaus, das unter Denkmalschutz steht, ist wohl in der Zeit Mitte bis Ende des 17. Jahrhundert erbaut worden. Das Fachwerk ist, bis auf den Giebel zur Kuhstraße hin, erhalten. „Die Eichenbalken hier sind alle original“, sagt Dieter Horster.

Auf Heinrich folgte Horsters Opa Wilhelm, „der erste Frisör in unserer Familie“. 1913 eröffnete er den Salon. Sein Sohn Herbert und seine Frau Helma, also Dieter Horsters Eltern, übernahmen das Geschäft Ende der 1950er Jahre. „Zu meiner Kindheit haben hier neun Personen gewohnt: meine Großeltern, meine Eltern, mein Onkel mit seiner Familie und ich.“

Seit 1979 leben Dieter und seine Frau Rita in dem Haus, wo sie ihre Tochter großgezogen haben und wo jetzt der Enkelsohn in den beiden Kinderzimmern spielt, in dem der Opa schon gespielt hat.

„Alles haben wir in den Jahren komplett umgemodelt. Es gibt keine Ecke, in die wir nicht hineingekrochen sind. Dadurch haben wir auch diese enge Beziehung zum Haus.“

Dieter Horster selbst hat in viel Eigenarbeit und unterstützt durch die Geduld seiner Frau die alten Eichenbalken wieder sichtbar gemacht, indem er vorgesetzte Wände und abgehängte Decken abnahm. Raum für Raum hat das Ehepaar den historischen Charme wieder freigelegt.

Der ist auch gegeben, obwohl ursprünglich die Türhöhen nur 1,50 Meter betrugen und nach und nach durch Türzagen mit Normalmaß ersetzt wurden.

Manchmal kam Veränderungen auch der Zufall zu Hilfe. Als im Zuge von Abrissarbeiten am Nachbarhaus Ende der 70er Jahre ein Bagger ein Fenster-großes Loch in die Außenmauer zur Orsaystraße riss, war dies zunächst mit Glasbausteinen gefüllt worden.

Der Zustand aber gefiel Dieter und Rita Horster auf Dauer nicht. Sie sprachen bei der Stadt vor und baten darum, an der Stelle eine Tür einbauen zu lassen. Die Genehmigung folgte und so entstand der neue Hauseingang. Zuvor waren die Gäste der Horsters immer durch den Salon in die Privaträume gelangt. Die „neue“ zweite Haustür ist eine aus alten Eichenbrettern, die noch im Haus lagerten.

Der ausgebaute und geräumige Speicher ist längst einer von acht genutzten Wohnräumen. Dazu kommen Bäder. Geschichten gibt es in jedem Raum zu erzählen. Der Eichenschreibtisch im Dachgeschoss-Büro beispielsweise musste durchs Fenster gehievt werden. Die steilen Stiegen hoch hätte man ihn nie und nimmer tragen können.

Die Pflege der Bausubstanz übernimmt Horster immer noch selbst. Er streicht regelmäßig die Balken der Fassade und die verputzen weißen Felder dazwischen. „Sie glauben nicht, wie oft ich dabei angesprochen oder fotografiert werde.“