Briefmarken-Sammler und Meister des Bridge-Spiels Geburtstagskind: Martin Reiss wird am Montag 100 Jahre alt
Kempen · (hk) Das zu erleben, ist nur wenigen bestimmt: In der Weimarer Republik geboren, im Zweiten Weltkrieg Soldat, in der Bundesrepublik Schulleiter. Am heutigen Montag, 16. Mai, wird Martin Reiss 100 Jahre alt.
Wenn man den hochbetagten Mann besucht, entrollt sich eine fesselnde Lebens-Rückschau. In Rheinhausen-Friemersheim geboren, machte Reiss sein Abitur am Krefelder Arndt-Gymnasium. Nach Lehrtätigkeit in Düsseldorf übernahm er am 1. Dezember 1966 in Kempen die Leitung des Thomaeum – mit 44 Jahren einer der jüngsten Gymnasialdirektoren in Deutschland.
Da hatte gerade der Run aufs Gymnasium eingesetzt: In der Bundesrepublik war der „Bildungsnotstand“ ausgerufen worden. „Möglichst viel Bildung für alle Schüler“ lautete das Gegenrezept.
Folglich meldeten sich jährlich mehr als 100 Sextaner auf dem Thomaeum an – und Martin Reiss engagierte Lehrkräfte, wo er nur konnte. Aus Irland zum Beispiel den Anglisten Hugh Murphy, der an der Schule bald eine blühende Theater-Landschaft aufbaute. Sieben Pavillons ließ Reiss errichten, um den Schüler-Ansturm zu bewältigen. Das alte Lehrer-Wohngebäude wurde abgerissen, das Pädagogische Zentrum und ein Verwaltungs- und ein Naturwissenschaftstrakt wurden neu gebaut. Kurz: Unter Martin Reiss bekam die traditionsreiche Schule ihre heutige Gestalt. Kurz bevor er sie verließ, 1984, feierte er ihren 325. Geburtstag. Aber die Belastungen schlugen seine Gesundheit an, ließen ihn vorzeitig in Pension gehen.
Aus Liebe zu Griechenland sammelt er Briefmarken
Aber nicht in den Ruhestand. Denn der passionierte Altsprachler und Humanist zog aus seiner Liebe zum antiken Griechenland bald eine neue Liebhaberei: Das Sammeln von Briefmarken zunächst mit Abbildungen der ionischen Inseln. Die Korrespondenz mit zwei griechischen Philatelisten weitete sich auf Marken-Freunde aus den USA, der Schweiz und Portugal, Russland, Estland und Ungarn aus. Andere Passionen kamen hinzu: Die Übersetzung unveröffentlichter Thomas-Traktate aus dem Lateinischen – und das Bridge-Spiel. Die Briefmarken-Korrespondenz und der Bridge-Tisch halten ihn fit. Einzigartig für einen Hundertjährigen: Martin Reiss spielt höchst erfolgreich Bridge jede Woche im Kempener Bridgeclub und mehrfach wöchentlich online zu Hause.
1972 baute er sein Eigenheim an der Berliner Allee, in dem er heute noch wohnt. Mit seiner Ehefrau Margareta, mit der er seit 72 Jahren verheiratet ist. Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor, die heute mit ihren Familien in verschiedenen deutschen Städten leben. Fünf Enkel und vier Urenkel komplettieren die Großfamilie.
Eloge werden mit lateinischen und griechischen Zitaten gewürzt
In Kempen gehört Martin Reiss zu den Gründern des Thomas-Vereins und des Bridge-Clubs. Wenn er hier zu den Weihnachtsturnieren seine Vorträge hält, weiß der hochgebildete Mann seine Eloge mit lateinischen und griechischen Zitaten zu würzen, schlägt dabei mühelos den Bogen von der Geburt Christi zur Jetztzeit – die Summe eines langen, erfüllten Lebens.