Diskussion um Sondernutzungsgebühren Viel Lärm um wenig?
Kempen · Die Geschäftsleute und der Kempener Werbering ärgern sich über Sondernutzungsgebühren für ihre Außen-Werbeträger. Die Stadt wehrt sich gegen Vorwürfe, die Politik will die Gebühren anpassen.
Eigentlich würde Heike Zimmermann sich lieber in Ruhe ihrer Arbeit als Goldschmiedin widmen. Doch sie hat mit dem Eintrag in Facebook eine „unerwartete Welle“ losgetreten, wie sie selbst einräumt. „Aber ich stehe dazu, was ich da gesagt habe“, sagt die 52-jährige gestandene Geschäftsfrau, die seit 30 Jahren im Beruf steht und seit zehn Jahren in Kempen ansässig ist.
Zimmermann hatte sich einfach einmal Luft gemacht. Sie versteht nicht, warum vor ihrem Geschäft am Buttermarkt nicht mehr Werbe-Aufsteller oder Beachflags im Bereich von drei Meter kostenlos aufstellen darf, wie das bislang der Fall war. „Jetzt werden die, die den C-Mist bis hierher überlebt haben noch zusätzlich zur Kasse gebeten“, spricht sie in ihrem Post von einer Summe von jährlich rund 110 Euro. Ganz präzise sind es 107,60 Euro, wie sie dem Bescheid vom 24. Januar 2022 entnehmen kann. „Das sind 4,80 Euro pro Monat für meinen Beachflag und den Kundenstopper, also 57,60 Euro. Dazu kommen noch 50 Euro Bearbeitungsgebühr.“
Zusätzlich wütend hat sie die Post gemacht, die sie einen Monat zuvor erhalten hatte. „Da habe ich einen Gebührenbescheid erhalten, in bei dem ich rückwirkend 51 Euro bezahlen musste.“ Die ganze Geschichte ging Mitte letzten Jahres los, „als wir äußern sollen, inwieweit wir die Außenfläche nutzen und den 1-Meter-Bedarf mitteilen.“ Und jetzt flatterten die Bescheide ins Haus. „Wenn ich schon Gewerbesteuer zahle, warum ist das nicht schon abgedeckt?“, fragt sich Zimmermann. Das Ordnungsamt habe sie „streitschlichtenderweise“ am letzten Mittwoch aufgesucht, musste sich aber ihren massiven Unmut anhören.
Die Summe allein würde sie nicht umbringen, sagt die Geschäftsfrau. „Aber es hat ein Geschmäckle.“ Und den Zeitpunkt, den hält sie für „unmöglich.“ Die Kritik, die lädt sie aber nicht nur bei der Stadt ab. „Wer im Stadtrat hat nicht verstanden, das wir mitten in der Pandemie sind?“ Denn da zählt für viele Geschäftsleute jeder Cent. „Die wahre Opferstatistik von Corona ist doch noch nicht klar.“ Und sie fragt sich, was mit dem Geld geschieht. „Wird das genutzt, damit der Bereich vor meinem Geschäft um den siffigen Briefkasten und die Telefonzelle besser gereinigt wird?“
Der Stadtrat hatte am 29. Juni eine neue Satzung beschlossen, die ab dem 1. Juli 2021 für einige bestimmte Nutzungen eine Erlaubnis vorsieht. Keine Erlaubnis bedurfte demnach „je eine Werbeanlage sowie Verkaufseinrichtung und Warenauslage, die tage- oder stundenweise an der Stätte der Leistung ohne feste Verbindung mit einer baulichen Anlage oder dem Boden angebracht oder aufgestellt wird, die in Fußgängerzonen nicht mehr als 1 Meter, sonst nicht mehr als 0,50 M in den Straßenraum hineinragt.“ Erlaubnisfrei sind auch nicht ortsfeste Fahrradständer.
Aus Sicht des Werberings, der sich jetzt in einer der WZ vorliegenden E-Mail an eigene Mitglieder, Bürgermeister Christoph Dellmans und die Ratsfraktionen gewandt hat, sei in dem ersten Formular, dass man im Juli 2021 dazu verschickt hatte, von „erlaubnisfreien Nutzungen“ gar nicht die Rede gewesen. So hätten womöglich einige eine gebührenpflichtige Erlaubnis beantragt, ohne dass sie nötig war. Der Werbering habe die Stadt darüber in Kenntnis gesetzt, dass er die zuletzt verschickten Gebührenbescheide „in Teilen für falsch“ halte in der Erwartung, dass die Stadt die Bescheide „eigenständig korrigiert oder zurücknimmt“ und alle Bescheide widerruft, „die auf den irreführenden Formularen basierten.“ In dem Schreiben ist auch von über 80 Einsprüchen und ersten eingereichten Klagen die Rede.
Bloß keine Verhältnisse wie in Krefeld
Statt einer Korrektur sei ein neuer Fragebogen zur „Nutzung des öffentlichen Straßenraums“ aufgetaucht, in dem erlaubnisfreie Nutzungen erst auf Seite 3 erwähnt sind und ausgeführt wird: „Die Nutzung öffentlicher Flächen über den Gemeingebrauch hinaus bedarf einer Erlaubnis.“ Was aus Sicht des Werbering so nicht stimmt. Der Werbering kommentiert auch den Fall einer Geschäftsinhaberin auf der Judenstraße, die „die Blumen, die außerhalb der Meterzone steht, an die Hauswand stellen“ müsse, sonst müsse sie dafür Gebühren zahlen. „Die Stadt Kempen stellt also teure Blumenkübel auf und verlangt dann von den Geschäftsleuten Gebühren, wenn diese das Ansinnen unterstützen, Kempen zu verschönern.“ Vor ein paar Monaten habe man noch mitleidig und verständlos gen Krefeld geschaut, wo eine Einzelhändlerin wegen eines Blumenkübels verwarnt worden sei. „Da ahnten wir nicht, dass das auch in Kempen möglich wäre“, heißt es in dem Schreiben.
Die neue Satzung habe bereits bewirkt, dass die Warenständer „steril parallel“ an den Häuswänden stünden, „wenn sie nicht ganz verschwunden sind, weil die Händler meinen, sie müssten auf jeden Fall dafür bezahlen.“ Man nehme Kempen mit diesen „kontraproduktiven“ Beschränkungen den „beliebten Charme“, klagt der Werbering. Und „der Personalaufwand und die Gewerbesteuereinbußen“ würden „mit hoher Wahrscheinlichkeit das zusätzliche Gebührenaufkommen übersteigen.“ Es wäre besser gewesen, wenn die Stadt Kempen „von sich aus ihre Fehler korrigieren und dem Ganzen ein wenig mehr Transparenz verleihen würde.“
Die Stadt stellt klar, dass es die Sondernutzungsgebühren immer schon gab. Die seien für die Zeit von 2020 bis Mitte 2021 per Ratsbeschluss ausgesetzt worden, danach allerdings nicht mehr. Und es habe, orientiert an der Mustersatzung des Städte-und Gemeindebundes, eine Satzungsänderung gegeben, die einen freien Meter „für je einen Kundenfänger, Krabbeltisch und Dreieckständer“ vorsehe.
Im Anschluss an die neu beschlossene Satzung Ende Juni habe man im Juli die Anmeldeformulare zur Angabe der Sondernutzungsflächen verschickt, im November seien dann die Gebührenbescheide für 2021. Im Januar wurden die Anmeldeformulare für 2022 verschickt. „Wir hoffen, dass wir im März die Gebührenbescheide für 2022 rausschicken können“; sagt Stadtsprecherin Johanna Muschalik-Jaskolka.
Sie räumte ein, dass in dem ersten Schreiben nur auf die Satzung hingewiesen, aber nicht explizit auf die erlaubnisfreien Flächen hingewiesen worden sei. „Da hätte das Ordnungsamt besser kommunizieren müssen.“ Die Zahl von 80 Einsprüchen wies sie zurück. „Es gibt 13 Widersprüche, in neun Fällen wurde Abhilfe geschafft, drei sind in Klärung und einer konnte noch nicht geklärt werden.“ Es sei eine Klage erhoben worden, wo die Stadt dann von sich aus den Bescheid zurückgenommen. „Die betreffende Person bekommt jetzt eine neuen Bescheid.“ Und in Bezug auf die Blumenhändlerin habe es nur einen hilfsbereiten Hinweis gegeben. Bürgermeister Christoph Dellmans unterstrich, dass „die Fragen und Probleme rund um die neue Satzung“ mit den Einzelhändlern geklärt werde. Man sei „nach wie vor ein verlässlicher Partner des Einzelhandels, und zwar die gesamte Verwaltung und insbesondere das Ordnungsamt.“
Seitens der Politik herrscht Irritation über die Diskussion. Er habe zwei Tage vor Heiligabend noch mit seinem grünen Kollegen Joachim Straeten mit dem Werbering-Vorstand geredet und sich dessen Sorgen angehört, sagte der CDU-Fraktionschef Jochen Herbst. An die Politik oder ihn als Ausschussvorsitzender sei zu dem Thema niemand herangetreten. Es habe kein Signal seitens der Händler gegeben. „Es wäre besser, wir würden uns alle an einen Tisch setzen. Es bringt nichts, sich immer über das Ordnungsamt zu beschweren. Wir sollten zusammen reden als übereinander.“ Er zeigte sich „erstaunt, dass sich jemand um 110 Euro Gedanken macht. Das sind umgerechnet 50 Cent am Tag und Kosten, die man sowieso abrechnen kann.“ Man sei seitens der Politik mit der Verwaltung seit ein paar Wochen eh schon dran, um die Gebühren „nachzubessern, auf Kempener Verhältnisse umzusetzen und über Jörg Geulmann zu entschärfen. Diejenigen, die sich jetzt gemeldet haben, wissen das.“ Dahingehend hätte sich der Werbering vergewissern sollen, anstatt Spannungen öffentlich aufrecht zu erhalten. „Da sollten Nebenkriegsschauplätze nicht bespielt werden, weil sie unsachlich sind. Auch, was die Einspruchszahlen angehe, sei „das nicht fair, was da gespielt wird.“ Niemand habe Interesse an Leerständen, dass der Einzelhandel nicht vernünftig arbeiten könne oder eine gestörte Atmosphäre zwischen Politik, Handel und Verwaltung bestehe. „Man muss die Kirche da im Dorf lassen.“