(tgel) Komplett gefüllt ist der Saal, als Jens Neutag im Forum St. Hubert sein neuntes Solo-Programm „GegenSätze ziehen sich aus“ präsentiert. Dass es Kabarett immer schwerer hat in Zeiten, in welchen sich die politische Weltenbühne scheinbar mit Satire zu überbieten versucht, ist bekannt. Neutag wählt daher eine Alltagssituation, die gewiss alle im Publikum kennen: ein Familientreffen, das heute nicht mehr nur eine Begegnung, sondern vielmehr der Schauplatz aller Gretchenfragen der Gegenwart ist – Weltgefüge im Kleinen.
Neutag verteilt die verschiedenen Positionen, die man einst als plakativ bezeichnet hätte, die heute aber merkwürdig real wirken angesichts der Gräben, die zwischen den Meinungen herrschen. Gefeiert wird der 95. Geburtstag von Onkel Heini in einem weit entlegenen Landgasthof. Dass dieser „Zum toten Tier“ heißt und natürlich keinen Handy-Empfang bietet, ist die Ausgangslage für die bitter-bösen Gespräche.
Da ist Karsten, der verdammt viel Meinung, aber wenig Ahnung hat. Er steht für diese einfachen Lösungen. In einem schmerzhaften Dialog versucht Neutag, diesem Cousin Karsten den Nahost-Konflikt zu erklären und dass es eben keine Entscheidungen in unserer komplexen Welt gibt, die sich auf dem Niveau von „Krieg oder Frieden“ abspielen. Allein dass Neutag sich an dieses schwere Thema während eines Kabarett-Programms wagt, ist ihm hoch anzurechnen, und er hat nichts ausgelassen, sondern alle im Saal vielmehr in die überaus schmerzhafte Dilemma-Situation hineingestürzt. Es war still in diesen Momenten.
Dieser Karsten prallt auch mit Marvin zusammen, dem Hipster aus der Großstadt, der Smoothies trinkt und Veganer ist, weil „hey Digger“, die Zeiten ändern sich nun einmal, und wo sollte das „random“ Problem sein, sich ebenfalls zu ändern? Karsten hingegen will nicht modern sein, er will nicht auf sein täglich Fleisch verzichten und schon gar nicht auf seine festgefahrenen Meinungen, er will, dass alles so bleibt wie es ist – aber früher war nicht alles besser, es ist nur länger her.
Neutag wirft einen analytischen Blick auf die 80er und entlarvt etliche populistische Haltungen der Gegenwart. Doch auch Marvin muss sich mit unerwarteten Herausforderungen auseinandersetzen, denn Neutag nimmt sie alle auseinander, alle etablierten Positionen, da prallen Welten aufeinander.
Manche lässt er einfach so stehen und wirken, und doch schafft Neutag wunderbar tragikomische Brücken, einen gemeinsamen Fluchtversuch etwa, denn sowohl er als auch Karsten und Marvin wollen eigentlich weg von diesem Landgasthof „Zum toten Tier“ – bis Onkel Heini mit einer folgenschweren Überraschung die Party crasht. Neutags Kabarett ist wie ein außerordentlich guter Film, dessen Ende noch lange nachhallt.