Grefrath Kein Anstoßen aufs Neue Jahr

Im Grefrather AHG Therapiezentrum wird nicht gefeiert. Ein Besuch an der Hinsbecker Straße.

Foto: Kurt Lübke

Grefrath. Womit stoßen die Bewohner des AHG Therapiezentrums an Silvester an? Mit Apfelschorle vielleicht? „Nein, Anstoßen würde bei denen, die früher alkoholabhängig waren, nur wieder Erinnerungen hervorrufen und eventuell Auslöser für einen Rückfall sein“, sagt Thomas Müller. Der stellvertretende Leiter der Grefrather Therapie-Einrichtung berichtet, dass am Silvesterabend — wie natürlich auch an allen anderen — nur Softdrinks angeboten werden. Auch alkoholfreies Bier oder Sekt seien tabu.

Der Übergang in ein neues Jahr wird, so Müller, von den Bewohnern, die entweder eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit hinter sich haben, eher ruhig angegangen. „An einer Feier besteht kein Bedarf“, so der Diplom-Sozialarbeiter. Anders als an Weihnachten, da wird in den einzelnen Gruppen dekoriert, gefeiert und sich beschenkt.

An Heiligabend gab es ein gemeinsames Kaffeetrinken, zu dem kamen ein Grefrather Kinderchor und Bläser sowie die Geistlichen der beiden Kirchengemeiden. „Auch die Hausleitung, also Herr Tichelbäcker oder ich, sind im Wechsel dabei“, so Müller. „Ich finde die Feier immer rührend. Es werden Gedichte aufgesagt und die Bewohner haben gemeinsam etwas vorbereitet.“ Viele hätten keine oder schwer belastete Beziehungen zur Familie. Solche Daten wie auch Geburt- und Todestage seien sehr „sensible Tage und für manche Bewohner nur schwer auszuhalten“.

Das Therapiezentrum mit 85 Plätzen ist vollbelegt. 63 Menschen wohnen an der Hinsbecker Straße und 22 in Außengruppen in Grefrath. Wer nach Grefrath überwiesen wird, hat entweder eine Entgiftung in einer Klinik hinter sich und muss lernen, wieder abstinent zurecht zukommen oder schafft es nicht mehr, ohne Hilfe seinen Alltag zu meistern. „Wir sind die letzte Station, bevor der Betroffene völlig abgleitet“, sagt Müller.

58 Mitarbeiter hat das Therapiezentrum. Darunter sind Sozialarbeiter und -pädagogen, Ergotherapeuten, Krankenschwestern und -pfleger, Altenpfleger sowie Menschen die im Bereich Hauswirtschaft, Verwaltung und Technik arbeiten. Das Durchschnittsalter der Bewohner liegt bei 58 Jahren. Dass bei Medikamenten- oder Alkoholabhängigen oft erst spät die Krankheit entdeckt wird, liege an der gesellschaftlichen Akzeptanz dieser Suchtmittel und daran, dass die betroffenen Verhaltensmuster entwickelt hätten, die ihre Lage verschleierten.

Viele Bewohner bleiben eine lange Zeit in der Einrichtung, oft bis sie aus pflegerischen Gründen in ein Altenheim müssen. Müller: „Wir sind keine Pflegeeinrichtung.“ Er erinnert sich aber an eine Ausnahme, eine 86-Jährige, die nach 20 Jahren im Haus gestorben ist.

Die Bewohner haben unterschiedlichste Lebensläufe. „Manche haben Gewalt, Missbrauch und Alkohol schon im Vorschulalter hinter sich, andere hatten viel Geld, ein Haus eine tolle Familie“, berichtet Müller. In Gesprächen finden die Ergotherapeuten heraus, wo die Neigungen, Fähigkeiten und Schwächen der Menschen liegen.

Danach wird ihnen ein Plan erstellt, wie sie am Leben in der Einrichtung teilnehmen können und wie sie ihre Freizeit gestalten können. Dazu gehörten Hilfe in der Küche, der Wäscherei oder Haustechnik sowie malen, handwerken, Musik, Sport oder Gärtnern. „Wir haben Leute, die sind mit 20 Stunden in der Woche ausgelastet, andere sind mit zwei Stunden schon überfordert“, sagt Müller.

Das Therapiezentrum ist ein offenes Haus. Das heißt, es darf Besuch kommen, die Bewohner dürfen sich frei bewegen und entscheiden, wenn sie die Einrichtung ganz verlassen wollen. Vor allem am letzten Punkt scheiden sich hin und wieder die Geister. „Es verlassen uns auch Leute, denen wir es nicht empfehlen würden. Weil wir der Meinung sind, dass sie noch nicht bereit sind, alleine abstinent zu leben.“ Wie groß die Erfolgsquote bei denen ist, die ausgezogen sind, kann Müller nicht sagen. „Wir machen da keine Erhebungen“. Aber es gebe durchaus Menschen, die freiwillig wieder kommen, weil sie es draußen alleine nicht packen.