Buchtipp Warum simple Botschaften so gefragt sind
Service | Kempen · In seinem neuen Buch liefert Klaus-Peter Hufer das präzise Bild einer Gesellschaft, die im Umbruch steht.
(hk-) Die Nazi-Verbrechen – ein „Vogelschiss der Geschichte“? Das Holocaust-Mahnmal in Berlin – ein „Denkmal der Schande“? Der Islam – eine „Gefahr für Deutschland“? Kein Zweifel: Seit einiger Zeit breiten sich rechtspopulistische und rechtsextreme Parolen aus. Nationalpatriotische Rattenfänger versuchen, die komplexe Wahrnehmung unserer vielfältigen Zeitumstände durch vereinfachende Pauschalurteile zu ersetzen. Populisten bieten Schwarz-Weiß-Folien an, um Zeitgenossen, die einfache Lösungen suchen, das Nachdenken zu ersparen. Ihre Absicht ist, einseitige Meinungen zu züchten, die die Wahrheit verdrehen. Das soll ihren politischen Zielen dienen. Das Gefährliche daran: Durch das Vordringen rechtspopulistischer Ideologie wird die rote Linie unterminiert, die unsere demokratische Gesellschaft bisher vor einem rassistischen und faschistischen Bewusstsein bewahrt hat. „Die Neue Rechte und die rote Linie“ heißt deshalb das Buch, das der Kempener Sozialwissenschaftler Klaus-Peter Hufer, der als Professor an der Universität Duisburg-Essen Bildungswissenschaft lehrt, jetzt herausgegeben hat, zusammen mit seiner Wissenschafts-Kollegin Laura Schudoma, die als Doktorandin an der Helmut-Schmidt-Universität die Vorgänge politischer Bewusstseinsbildung erforscht. Beide zeigen in messerscharfer Analyse, auf umfassende Forschung gestützt, warum simple Botschaften heute so gefragt sind.
Denn: Nichts scheint mehr sicher zu sein und ein für allemal fest zu stehen. Die Werte, an denen man sich orientiert hat, fallen. Die moderne Leistungsgesellschaft propagiert das Streben nach Profit und Ansehen, zwingt also zu Mobilität und Flexibilität. Vielfach fühlt man sich unzufrieden; abgehängt von einer Entwicklung, die man nicht mehr versteht. Man hat Angst, seine Identität zu verlieren, also das, was einen ausmacht. Man ist auf der Suche nach Geborgenheit, nach „Heimat“ in einer Gemeinschaft. Das wiederum führt zur Ausgrenzung anderer, die man als „fremd“ empfindet, zum Beispiel von Migranten. Das Gefühl der Einsamkeit, der Entwurzlung nimmt zu. Durchdrungen vom Gefühl eigener Bedeutungslosigkeit wollen viele etwas Außergewöhnliches darstellen, inszenieren sich zum Beispiel in Internet-Foren. Ein Prozess, den man „Individualisierung“ nennt. Neue Technologien entstehen, die sich dem Verständnis des Normalbürgers entziehen. Wo kann man sich noch verlässlich informieren? Die Info-Überflutung durchs Internet, die unübersichtlichen Verflechtungen der globalen Wirtschaft versetzen in Ratlosigkeit. Der Klimawandel und neuerdings die Corona-Pandemie rufen Unsicherheit und Ängste hervor. Wo findet man die Kriterien zum „richtigen“ Handeln? Da laufen viele lieber Vordenkern hinterher, die Schubladen bieten zum bequemen Einordnen der unübersichtlich gewordenen Informationen.
Dieses Buch liefert eine umfassende Bestandsaufnahme unserer derzeitigen Gesellschaft und beschreibt eingehend die rechte Szene, durch die sie bedroht wird. Es zeigt auf, dass Diskussionen immer weniger auf Fakten fußen und immer mehr auf unbewiesenen Behauptungen. Zugleich schwindet das Vertrauen in die Institutionen, die uns Orientierung geben sollten. Aber man kann gegensteuern. Hufer und Schudoma fordern ihre Leser auf, sich einzusetzen für eine differenzierte Weltsicht. Wir sollen eintreten für eine offene, vielfältige Gesellschaft. Damit sich weiterhin Minderheiten artikulieren können. Damit man kontroverse Meinungen respektiert, um zu einem Höchstmaß an Gerechtigkeit und Wahrheit zu kommen. Wofür man eintreten soll? Für Respekt vor anderen, für Sachlichkeit und eine differenzierte Sichtweise.
Info Klaus-Peter Hufers und Laura Schudomas Buch „Die Neue Rechte und die rote Linie“, 151 Seiten stark, ist im Buchhandel für 19,95 Euro erhältlich (ISBN 978-3-7799-6407-0.