Wunderbare Saison-Eröffnung
Ragna Schirmer mit einem romantischen Klavierabend „Leise flehen meine Lieder“ in der Paterskirche.
Kempen. Man merkt sofort, dass die Pianistin auch gewöhnt ist, zu lehren und so greift Ragna Schirmer in der Paterskirche gleich zum Mikrofon. „Es wird ein Abend, der auf das Hauptwerk hinarbeitet: die große Sonate in G-Dur von Schubert.“ Ihr musikalischer Weg zu diesem Meisterwerk von Franz Schubert beginnt als Pilgerreise in die „Années de pèlerinage. Première année: Suisse“ und davon der Abschnitt durch das fiktive Obermanntal; Reiseleiter ist Franz Liszt. Sie stimmt darauf ein, eine sehr innige, sehr intime Seite dieses Komponisten zu erleben.
Mit den ersten Takten wird deutlich, dass es eine Musik zum Innehalten ist, deren Wirkung man sich kaum entziehen kann. In der Interpretation von Schirmer können die Gedanken in aller Ruhe ihren Lauf nehmen. Die Pianistin entwirft ein komplexes wie fein gezeichnetes Klangbild. Mal sind es melancholische, verträumte Stimmungen, mal wird es etwas dramatischer — steht nicht der Zuhörer gerade in einer wild romantischen Hochgebirgslandschaft, die ihn aufwühlt, ihn zu neuen Gedanken führt? Nach dieser tiefgründigen Pilgerreise folgen die Werke, die dem Klavierabend das Motto gegeben haben: „Leise flehen meine Lieder“.
Es sind vier Lieder von Schubert, die Franz Liszt bearbeitet hat. Schirmer erläutert, dass Liszt höchst anspruchsvolle Begleitungen der Melodien geschrieben hat, „knifflig“ für die Pianisten zu meistern. Und es wird schnell deutlich, dass drei Hände nicht schlecht wären, diese Stücke zu meistern. Die technischen spielerischen Herausforderungen sind das eine, die interpretatorischen noch ganz andere! Die Pianistin gibt dem „Ständchen“, der Liszt’schen Bearbeitung von „Leise flehen meine Lieder“, eine wunderbare Innigkeit, sie zaubert Atmosphärisches in scheinbar unendlich vielen Nuancen, dass man sich nur freuen kann, dass Liszt viele Strophen für dieses Lied geschrieben hat.
In gleicher Weise mit größter Einfühlsamkeit interpretiert, lauscht das Publikum Gretchen am Spinnrade („Meine Ruh ist hin“) und kann über das Motiv des surrenden Spinnrads — wahrlich ein Präzisionswerk — nur staunen. Schließlich versetzt die Pianistin die Zuhörer in tiefe Meeresstille, aus deren Wellen plötzlich der Erlkönig zu galoppieren scheint. Ein begeisterter Applaus schon vor der Pause.
Den zweiten Teil des Abends füllt Franz Schuberts Sonate in G-Dur (D 894). Man ist bestens eingestimmt und wird sich schnell bewusst, dass dieses Werk noch eine Steigerung des „Vorprogramms“ ist. Welch feine Nuancen, welche Innigkeit versteht Schirmer aus diesen Noten herauszuarbeiten! Wie viel Einfühlungsvermögen in das Seelenleben des Komponisten! Wie sensibel interpretiert! Diese Sonate verlangt alles von der Pianistin ab, da kann man sie nur zu gut verstehen, dass nach solch einem großartigen Werk und seiner meisterlichen Interpretation keine Zugabe mehr möglich ist. Stehender Applaus, Bravorufe — eine wunderbare Eröffnung der neuen Konzertsaison.