SERIE: STRASSENNAMEN UND IHRE GESCHICHTE Bewegte Geschichten aus dem Nettetal
Breyll/Loberrich. · Breyell ehrt Paul Therstappen und den Leuther Heinrich Houben, Lobberich widmet Hanna Meuter eine Straße.
Zeit seines Lebens fühlte sich der Schriftsteller Heinrich Houben als Breyeller, obwohl sich sein Wohnsitz in Leutherheide befand, das zu seinen Lebzeiten zu Leuth gehörte und erst im Herbst 1944, drei Jahre nach seinem Tod, von den Nationalsozialisten in einsamen Beschlüssen „umgegliedert“ wurde: weg von Leuth, hin zu Breyell. Das Postamt Breyell hatte Houben immer angegeben, wenn er Post aus aller Welt erwartete: Leutherheide über Breyell.
Houben (1866 bis 1941) wollte eigentlich, wie sein Vater Wilhelm, Lehrer werden, doch wurde er 1882 als 16-Jähriger bei einem Raubüberfall zwischen Lobberich und Breyell so zusammengeschlagen, dass er alle Berufspläne aufgeben musste. In einem Selbststudium erwarb er „eine enorme Bildung und ein brillantes Wissen“, vor allem in den Bereichen Literatur, Kunst, Theologie und Geschichte, urteilte der Lobbericher Buchhändler Hans K. Matussek, der sich näher mit dem umfangreichen Bühnenwerk Houbens auseinandergesetzt hat. Erstes Werk aber war 1888 ein „Leitfaden zum Krämerlatein, genannt Henese Fleck“.
Da es keine Aufstellung seiner sämtlichen Werke gibt, weiß man nicht, wie viele Theaterstücke – in erster Linie für Laienbühnen – Houben geschrieben hat. Die Zahlen schwanken zwischen 125 und 200. Einige Titel: „Die Schauspielkandidatin“, „Freischütz“ (nach der Weber-Oper für die Dilettanten-Bühne frei bearbeitet), „Ben Hur“ (Schauspiel aus der Zeit Christi), „Bethlehem“ (Bühnenspiel für die Weihnachtszeit), „Jerusalem“ (Passionsspiel), „Wenn du eine Mutter hast“, „Der Kampf mit dem Drachen“. Für sehr bemerkenswert hält Matussek das Passionsspiel „Jerusalem“, das als sein 100. Stück am 28. Februar 1926 seine Uraufführung in Leutherheide erlebte. Es bekam im rheinisch-westfälischen Raum sehr gut Kritiken.
Nach seinem Tod 1941 wurde es still um Houben. Hin und wieder wurde noch sein Melodram „Wenn du eine Mutter hast“, 1911 als 50. Werk erstmals veröffentlicht, aufgeführt. Dass Houben „als Autor heute nur noch wenigen bekannt ist, liegt daran, dass seine Stücke stark zeitgebunden waren“, urteilt Matussek. Allerdings sind viele seiner Werke noch im Kreisarchiv oder den Universitätsbibliotheken Düsseldorf und Köln zu finden.
Houben bekam auch Post
von den Falkland-Inseln
Zu Houben in „Leutherheide bei Breyell“, wie er zu schreiben pflegte, obwohl die Honschaft damals zu Leuth gehörte, kam fast täglich der Postbote, um Postkarten aus allen Erdteilen, sogar von den Falkland-Inseln, zu bringen; ob er sie verkaufen wollte und damit ein Geschäft gemacht hat, weiß der Philatelist Helmut Veikes nicht zu sagen; er hat rund 600 Belege, darunter auch eine Karte aus Leutherheide mit dem Schornstein der Ölmühle von Kottmann, die im Januar 1899 in Bagdad aufgegeben worden ist: Missionare hatten sie dorthin mitgenommen.
Auf Speckerfeld in Breyell berühren sich die Heinrich-Houben- und die Paul-Therstappen-Straße, doch sind sich die Männer wohl nie begegnet. Therstappen, 1872 in Breyell geboren, kehrte nach Studienjahren in Münster, München, Straßburg und Marburg und beruflichen Stationen in Königsberg (heute Kaliningrad), Breslau (heute Wroclaw), Trier, Mönchengladbach und Köln erst 1942, ein Jahr nach Houbens Tod, nach Breyell zurück, wo er 1949 im Alter von 77 Jahren starb. Es war nicht immer einfach für ihn, das tägliche Brot für die Familie zu besorgen, denn 1934 wurde er von den Nationalsozialisten „zwangspensioniert“ mit 45 Prozent seiner Bezüge als Stadtbibliothekar an den Volksbüchereien in Köln.
Gegen die Charakterisierung Therstappens als „deutschtümelnden Forscher und Dichter vom Niederrhein“ wehrt sich der Literaturwissenschafter Bernd Goossens mit Nachdruck. Zwar spiele die deutsche Mythologie eine wichtige Rolle in seinem Werk, doch habe sie nichts mit der Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis zu tun. „Er war ein gelehrter Dichter mit vielen Bezügen zur Geschichte“, lautet sein Urteil. So sieht er Therstappen auch nicht als „Heimatdichter“, auch wenn er immer wieder Themen aus seiner unmittelbaren Umgebung aufgriff („Pronk op Barlo“ in „Legenden und Mären zwischen Rhein und Maas“, 1946) oder das Weyer Kastell in Versen besang. Ein abgerundetes Bild des „Lyrikers, Mythologen und Vorgeschichtsforschers“ Therstappen will Goossens zu dessen 150. Geburtstag 2022 präsentieren; daran arbeitet er gemeinsam mit der Studiendirektorin i.R. Angela Wegers.
Eine glühende Verehrerin Therstappens war zeitlebens die Soziologin und Schriftstellerin Hanna Meuter (1889 bis 1964). Beide lernten sich 1921 als Kollegen in der Kölner Volksbücherei kennen, beide gaben 1932 das Buch „Amerika singe auch ich – Dichtungen amerikanischer Neger“ heraus. In der männerdominierten Universitätswelt wurde ihr eine Hochschullaufbahn als Soziologin verwehrt, von den Nationalsozalisten wurde sie aus der Kölner Uni-Bibliothek „entfernt“. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog sie von Aachen nach Lobberich in die Burg Ingenhoven, um von hier aus das Werk des Schriftstellers zu popularisieren. Das Verhältnis Therstappen-Meuter charakterisiert Angela Wegers ganz knapp: „Sie war verliebt in ihn.“ Die Liebe überdauerte den Tod auch zehn Jahre später: 1959 erschien das von Meuter bearbeitete „Heimatbuch vom alten Kiepenträger-Dorf“ als Hommage an Paul Therstappen (Band 12 der Schriftenreihe des Kreises Kempen-Krefeld) mit dem Titel „Breyell, wat huckste knäbbig“.
Meuter, die auch Mitgründerin der ersten deutschen Journalistenschule 1945 in Aachen war, ist für ihr Schaffen vielfach ausgezeichnet worden: schon 1924 mit dem Mevissenpreis der Stadt Köln für ihre Dissertation, zuletzt 1962 mit dem Erzählerpreis der Internationalen Akademie Leonardo da Vinci in Rom. 1992 widmete der Kreis Viersen, der ihren Nachlass im Kreisarchiv bewahrt, ihr seine Gedenkmedaille. Ihr Grab liegt auf dem Lobbericher Waldfriedhof.
Die Hanna-Meuter-Straße in der Nähe des Wasserturms hat ein Pendant in Köln-Kalk: Dort gibt es seit 2014 auch einen Hanna-Meuter-Weg.