Nuriani und der Islam

Eine 18-Jährige vom Niederrhein trifft sich an diesem Wochenende mit Gleichaltrigen in Berlin. Es geht um Glaube, Kultur und Identität.

Wegberg/Berlin. Es ist nicht leicht, sich Nuriani Hamdan als Annette Schavan vorzustellen. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung ist etwa dreimal so alt wie die Gymnasiastin. Während die CDU-Frau ihre grauen Haare stets praktisch-kurz trägt, reicht die dunkle Mähne der 18-Jährigen pflegeintensiv bis weit über die Schultern. Und statt den bei Bundespolitikerinnen so beliebten Hosenanzügen bevorzugt die angehende Abiturientin einen Look, der deutlich mehr an Lena Meyer-Landrut als an Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erinnert.

Doch bei einem Planspiel im Berliner Bundeshaus soll die Schülerin des Wegberger Maximilian-Kolbe-Gymnasiums für ein paar Stunden in die Rolle eines Kabinettsmitglieds schlüpfen. „Wir spielen die Deutsche Islamkonferenz nach“, erklärt Nuriani Hamdan. Und in diesem Gremium hat eben auch das Ressort der aus dem Rhein-Kreis Neuss stammenden Annette Schavan einen Sitz.

In Anlehnung an Dialogforum für staatliche und muslimische Vertreter auf Bundesebene heißt das von der Stiftung Mercator in Kooperation mit der Humboldt-Universität organisierte Gesamtprojekt an diesem Wochenende „Junge Islamkonferenz“. 40 ausgewählte Teilnehmer — zwischen 17 und 23 Jahre alt, aus der Hauptstadt und aus NRW, mit und ohne muslimischen Hintergrund — beschäftigen sich an zwei Tagen mit der Rolle des Islam und der Muslime in Deutschland. Anfang Februar gab es bereits ein Vorbereitungstreffen.

Für die junge Niederrheinerin, deren Vorname sich vom arabischen Wort für Licht ableitet, ist es eine ebenso neue wie spannende Erfahrung: „Ich habe mich mit meiner Identität nie so intensiv auseinandergesetzt wie jetzt“, sagt sie. Zwar ist die Tochter eines gebürtigen Indonesiers und einer zum Islam konvertierten Mutter aus Essen selbst bekennende Muslima. „Aber bei uns ist der Glaube eher Privatsache.“ Ihr Umfeld sei überhaupt nicht muslimisch geprägt; im Freundeskreis ist sie die einzige, die kein Schweinefleisch isst und keinen Alkohol trinkt.

Ihrer Familie, zu der noch ein 16-jähriger Bruder gehört, sehe man den Glauben nicht an. Vater Harry ist Spezialist für individuell angepasste Golfschläger, Mutter Danièle Lehrerin am Viersener Berufskolleg. „Es fällt erst auf, wenn wir zum Essen eingeladen werden und darum bitten, auf bestimmte Gerichte zu verzichten“, erzählt die Oberstufenschülerin.

Wenn sie auf Partys zum Trinken von Bier oder Schnaps aufgefordert wird, sagt sie einfach: „Nö, ich möchte nicht — und dann ist es meist auch okay.“ Nur manchmal nennt sie ihren Glauben als Grund für die Abstinenz. „Viele Leute sind dann schon etwas irritiert, wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen.“ Aber richtige Schwierigkeiten wegen ihres Glaubens und ihres kulturellen Hintergrunds habe sie noch nie gehabt.

Die von Thilo Sarrazin ausgelöste Debatte ist allerdings auch an ihr nicht spurlos vorüber gegangen: „Man kann das Thema nicht umgehen“, sagt sie, und ihr Lächeln weicht einem ernsten Gesichtsausdruck. „Sein Buch hatte einen sehr großen Effekt auf die Gesellschaft — der Islam wird viel mehr als Bedrohung angesehen als vorher.“ Sie selbst habe es aber nicht gelesen.

In einigen Wochen wird die Wegbergerin, die als sehr gute Schülerin gilt, ihr Abiturzeugnis in den Händen halten. Anschließend will sie in Berlin Soziologie und Politikwissenschaft studieren, die Muttersprache ihres Vaters und vielleicht noch Arabisch lernen. Einer beruflichen Karriere scheint nichts im Wege zu stehen. So ist es nicht schwer, sich Nuriani Hamdan beispielsweise als künftige Bundesministerin vorzustellen. Bis dahin sind ja vielleicht die Hosenanzüge im Kabinett out.