Landratswahl Saßen: „Thema Jobcenter in den Mittelpunkt“
Christoph Saßen möchte Landrat im Kreis Viersen werden — er sieht sich als „Underdog“, will aber dennoch gewinnen.
Kreis Viersen. Landrats-Kandidat Christoph Saßen packt eine Mixtur aus Unbekümmertheit, Selbstbewusstsein und Willen zur maximalen Chancenverwertung in sein Statement: „Vor zehn Jahren war ich pleite, erwerbslos, nicht krankenversichert, ohne Perspektive. Nun kandidiere ich für das Amt des Landrats.“ Der 37-jährige Vollzeitpolitiker ist optimistisch für die Partei „Die Linke“ in den Wahlkampf eingestiegen. Was er nach einem Sieg verändern würde, welche Chancen er sich ausrechnet und was er zu seinen beiden Konkurrenten um den Chefposten der Kreisverwaltung sagt, hat er im Gespräch mit der WZ in Kempen erzählt.
Westdeutsche Zeitung: Herr Saßen, Sie treten an, um den Kreis Viersen sozial gerechter zu gestalten. Wo geht es denn ungerecht zu?
Saßen: Da nenne ich zu allererst das Jobcenter. Das Thema stelle ich in den Mittelpunkt, vor allem die Behandlung der Menschen, die dort die Hosen runterlassen müssen. Da ist einiges im Argen, wird aber nicht aufgearbeitet. Ich habe das über mehrere Jahre selbst erlebt. Die Arge hat mich, als ich einen Job suchte, am langen Arm verhungern lassen. Ein dreieinhalb Jahre dauernder Prozess endete mit einem Vergleich vor Gericht. Der Kreis ist Träger des Jobcenters. Als Landrat könnte ich stärker Themen setzen und Initiativen anstoßen. Ich habe zwar keine Mehrheit, bin aber auch kein Grußonkel wie der Bundespräsident. Und dann muss man schauen, ob man Mehrheiten bekommt.
WZ: Transparenter soll Ihrer Meinung nach der Kreis gestaltet werden. Wo fehlt Ihnen der Durchblick?
Saßen: Nehmen wir das Beispiel WfG, also die Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Kreises Viersen. Ich bin seit sechs Jahren im Kreistag und es hat noch keinen Kontakt dorthin gegeben. Das ist eine „Closed Shop-Angelegenheit“. Einmal im Jahr wird ein Rechenschaftsbericht vorgelegt, aber der wird nicht diskutiert. Jedenfalls nicht öffentlich. Nur hinter verschlossenen Türen im Kreise der G 8, also der Partei- und Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD, Grünen und FDP. Generell wird im Kreistag nicht viel diskutiert. Natürlich kann man nicht alles rausposaunen, aber in der Kommunikation liegt einiges im Argen.
WZ: Wieso glauben Sie, passt Ihnen der Anzug des Landrats? Was bringen Sie für Qualitäten mit?
Saßen: Ich sehe Politik aus einer anderen Sichtweise, nicht so verwaltungsstarr. Der Wähler hat nun die Wahl zwischen drei Kandidaten. Dr. Coenen ist der klare Favorit. Lochner ist hier in Kempen Lokalmatador. Ich sehe mich als „Underdog“, stelle mich aber nicht zur Wahl, um mit 20 Stimmen da rauszugehen. In Viersen habe ich keine schlechten Karten. Ich will gewinnen und kandidiere nicht für zwei Prozent.
WZ: Ist der Kreis reif für einen Landrat der Linken?
Saßen: Das letzte Kreistagsergebnis der CDU lag bei 40 Prozentpunkten, das der Linken bei 3,5. Das sind die Voraussetzungen, da muss man auch realistisch sein. Die Linken sind aber nicht mehr die Exoten, sondern sind mittlerweile im normalen politischen Lager angekommen. Ich werde nicht mehr gefragt, ob ich das Werk von Marx und Engels auf dem Nachttisch liegen habe.
WZ: Sie treten an, um die Beziehungen zwischen dem Kreis und den angehörigen Städten und Gemeinden zu verbessern. Wer verträgt sich denn nicht?
Saßen: Es gibt ein Kommunikationsproblem zwischen dem Kreis und den Kommunen. Bei der Kreisumlage liegen wir uns jedes Jahr mächtig in den Haaren. Da müsste auf einer anderen Basis verhandelt, müssten Lösungen auf längere Sicht angelegt werden. Das würde den Kommunen Planungssicherheit für ihre Haushaltsberatungen geben. Ich strebe eine Partnerschaft des Kreises mit den Kommunen auf Augenhöhe an.
WZ: Man hört seitens der Städte auch den Vorwurf, der Kreis gehöre nicht zu den Sparern.
Saßen: Das ist auch ein großer Verwaltungsapparat. Ich setze nicht auf weitere Einsparungen. Aber ich bin dafür, Synergien zu nutzen. Es gibt viele gut ausgebildete Leute in der Kreisverwaltung. Diese Personalien sollten Kommunen nutzen. Gutachten könnten durch Mitarbeiter des Kreises anstatt durch Externe erstellt werden.
WZ: Probleme sehen Sie auch beim Öffentlichen Personennahverkehr. Wann sind Sie das letzte Mal mit dem Bus gefahren?
Saßen: Bus? Vor zwei Monaten. Da war mein Auto kaputt. Zug bin ich erst gestern: gefahren. Ich entscheide je nach Zeit und Strecke. Ich möchte den ÖPNV attraktiver machen. Man muss auch sonntags um 19.30 Uhr noch aus Waldniel rauskommen. Ich möchte das Angebot ausweiten, investieren. So spart man auf Dauer Kosten beim Straßenausbau.
WZ: Was tun Sie für eine hohe Wahlbeteiligung?
Saßen: So traurig es klingt: Eine schlechte Wahlbeteiligung ist gut für mich. Aber da darf man nicht egoistisch sein. Ich mache deshalb überall darauf aufmerksam, dass man zur Wahl gehen soll. Jeder hat eine Stimme. Und eine Stimme kann entscheiden.
WZ: Ist es Ihnen schon passiert, dass man Sie auf der Straße erkannt und Sie in ein politisches Gespräch verwickelt hat?
Saßen: Selten. Nein. Doch, einmal in einem voll besetzten Zug. Ich kann nicht beurteilen, wie stark die Plakate wahrgenommen werden. Ich bin auch keine Rampensau, mache viel unter dem Radar, meine damit Hintergrundarbeit, die nicht gleich so auffällt.
WZ: Was würden Sie wie Landrat Peter Ottmann machen. Und was auf gar keinen Fall?
Saßen: 40 Kilometer durch den Kreis radeln, dafür bin ich nicht fit genug. Im Ernst: Ich habe mir nichts abgeguckt. Peter Ottmann ist ein Verwaltungsmann durch und durch, voller Nüchternheit und Sachlichkeit. Manchmal fehlt mir bei ihm das Herz. Ich würde als Landrat auf jeden Fall die Einzelmitglieder ohne Fraktion im Kreistag mehr beachten.
WZ: Das Thema Flüchtlinge ist zurzeit ein Hauptthema in Politik und in der Gesellschaft. Welchen Einfluss als Landrat würden Sie geltend machen?
Saßen: Der Landrat hat wenig Einflussmöglichkeiten. Er sollte aber die Verwaltungen in den Kommunen unterstützen. Generell hat die Politik diese Entwicklung verschlafen. Es sind Massen an Menschen, die in einer Nussschale über das Meer kommen, um in einem andern Land Zuflucht zu finden und sich sicher zu fühlen. Wir sind alle aufgefordert, diesen Menschen die Hand zu reichen.
WZ: Haben Sie sich schon Flüchtlingsunterkünfte im Kreis angesehen?
Saßen: Ja, ich war mit anderen Fraktionsvorsitzenden in der Sporthalle am Ransberg in Dülken. Aber das ist kein PR-Termin. Lassen Sie mich noch sagen: Es gibt unglaublich viel ehrenamtliche Hilfe. Unglaublich, was von Seiten der Bürger da passiert. Das ist irre.
WZ: Wie empfinden Sie den Wahlkampf?
Sassen: So richtig habe ich den Landratswahlkampf noch nicht wahrgenommen. Ich fand es bisher fair. Ich habe auch nicht vor, etwas Böses gegen Coenen oder Lochner zu sagen. Ich agiere mit offenem Visier. In sieben Jahren in verantwortungsvoller Position habe ich 13 Wahlen mitgemacht. Ich freue mich auf die Zeit, in der wir uns wieder auf Politik konzentrieren können.