Brauchtum auf der Kippe?

Der Verein für Heimatpflege will sich für die Tradition und gegen „unangebrachte Auflagen“ einsetzen.

Viersen. Die St. Martins-Züge sind am Niederrhein eine alte, weit verbreitete und für viele unverzichtbare Tradition. Bereits 1869 fand zum Beispiel in Dülken der erste Zug statt. Nun steht die Tradition möglicherweise mancherorts auf der Kippe. Es fehlt an Gaben, an Freiwilligen und es gibt zu viele Regelungen.

Albert Pauly, Vorsitzender des Vereins für Heimatpflege Viersen, erinnert sich noch genau, wie das immer war: „Früher hingen an der Decke der Hauptstelle der Stadtsparkasse zahllose Laternen der Kindergarten- und Schul-Kinder, die auch prämiert wurden.“

Darüber mögen die Ursprünge des Brauchtums, das eingebunden war in den christlich-kirchlichen Jahresablauf, etwas in Vergessenheit geraten sein, so Pauly weiter. So erinnert er sich etwa an einen Leserbrief einer Lehrerin, dem zufolge einige Kinder davon ausgingen, St. Martin sei eine Erfindung der Stadtsparkasse. Der Heimatverein möchte sich für den Erhalt der Tradition und ihrer Bedeutung einsetzen.

Pauly schwelgt in Erinnerungen: „Das Brauchtum selbst, nämlich einen St. Martinszug mit vielen bunten, meist selbst gebastelten Laternen zu veranstalten, Martins-Lieder zu singen, die Mantel-Teilung am Martinsfeuer nachzuspielen und sich anschließend eine mit Äpfeln, Nüssen und Leckereien gefüllte Martins-Tüte abholen zu dürfen, ist aber unverändert ein ganz wesentlicher Bestandteil der eigenen Jugend, woran man sich auch im fortgeschrittenen Alter noch gerne erinnert.“

Es dürfe nicht sein, dass diejenigen, die ehrenamtlich und äußerst zeitaufwendig dafür Geld sammeln, Tüten füllen, den St. Martin oder den armen Mann spielen, die Tüten ausgeben und den Zug begleiten, mit Auflagen daran gehindert werden. Diese Auflagen seien teils unangebracht und orientierten sich an völlig anderen öffentlichen Veranstaltungen wie Rosenmontagszügen oder der Loveparade.

Laut Pauly müsse zunächst einmal die Stadt die Bedeutung und die Wichtigkeit dieses Brauchtums anerkennen. Dann ließen sich auch Wege finden, diese Tradition unter Beachtung notwendiger, aber auch angemessener Sicherheitsvorkehrungen nicht nur zu erhalten, sondern auch zu fördern. „Fehlentwicklungen kann man korrigieren, überzogene Anspruchshaltungen kann man mindern.“

Ein weiteres Problem für die Erhaltung der Tradition sieht Pauly in der Masse der Veranstaltungen: „Auch mag es dem Brauchtum eher schaden, wenn Eltern mit mehreren Kindern nicht mehr wissen, wie sie überhaupt noch den Sektions-, Stadtteil-, Schul-, Kindergarten- und Stadtfackelzügen ihrer Kinder folgen sollen.“

Jeder sollte sich, ginge es nach dem Heimatverein, „mit verklärtem Blick und der Melodie ,Loop Müller Loop’ oder ,Wer fiere in Viersche Zänt Meärtes’ in den Ohren, an die Kindheit erinnern dürfen und dies auch Kindern und Enkelkindern weitergeben dürfen.“