Kreis Viersen Der Kirche laufen die Gläubigen weg

Kreis Viersen. · Das Bistum Aachen setzt auf mehr Dialog. Der Gesprächsprozess „Heute bei dir“ startet auch im Kreis Viersen.

Im vergangenen Jahr sind in Viersen 700 katholische und evangelische Christen aus der Kirche ausgetreten, in Nettetal 369. Damit sind die Zahlen gegenüber 2018 gestiegen.

Foto: dpa/Franziska Kraufmann

Im vergangenen Jahr sind mehr Katholiken aus der Kirche ausgetreten als 2018. Das Amtsgericht Viersen meldet für 2019 (Stand 16. Dezember) 530 Austritte aus der römisch-katholischen Kirche gegenüber 389 im Vorjahr. Die Gründe dafür sind vielfältig: Da ist der demographische Wandel. In einer älter werdenden Gesellschaft sterben mehr Menschen als geboren werden, auf die Kirche bezogen gibt es mehr Beerdigungen als Taufen. Hinzu kommt die zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft, die zu einer Kirchenferne führt. Bei dem Einen oder Anderen mag auch der finanzielle Aspekt, die Kirchensteuer zu sparen, ein Grund für einen Austritt sein.

Verstärkend in dieser Abwärtsbewegung wirken sich die Missbrauchsfälle durch katholische Priester aus. Nach der Veröffentlichung der Missbrauchs-Studie im September 2018 gab es in ganz Deutschland eine Austrittswelle. Im Bistum Aachen traten in diesem Monat 624 Menschen aus, einen Monat später 885. Im gesamten Jahr 2018 waren es bistumsweit 7086. Allein in Viersen traten 183 Katholiken 2016 aus der Kirche aus, 2017 waren es 200. 2018 und 2019 sind es mit 389 und 530 weit mehr. Damals erklärte Andreas Frick, Generalvikar des Bistums Aachen: „Ich kann verstehen, dass Menschen angesichts des Leids, das wir nicht einmal im Ansatz ermessen können, das Vertrauen in die Kirche verloren haben.“ Die Kirche will hier reagieren: „Wir müssen alles dafür tun, weiteres Leid zu verhindern. Das Bistum steht für eine konsequente Haltung der Null-Toleranz, für rückhaltlose Aufklärung, enge Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften und Transparenz.“

Zahl der Kirchgänger in einem Jahr um acht Prozent gesunken

Dem Generalvikar ist aber auch bewusst, dass die Kirche viele Menschen nicht mehr erreicht. Das sieht man jeden Sonntag in den Kirchen. Die Zahl der Besucher der Gottesdienste ging im gesamten Bistum Aachen 2018 um acht Prozent zurück. Wie sich der Verlust von „Beheimatung in der Kirche“ und Glauben allgemein auf die Gesellschaft insgesamt auswirkt, ist bisher wenig untersucht worden.

Die Entwicklungen, die sich nicht übersehen lassen, haben bereits zu Veränderungen geführt, kein Aktionismus, sondern ein langsamer Prozess. Bischof Helmut Dieser hat in seiner Silvesterpredigt 2017 unter dem Motto „Heute bei dir“ einen Gesprächs- und Veränderungsprozess angestoßen, an dem sich bis Ende 2021 auch diejenigen beteiligen sollen, die der Kirche gern sind. „Heute bei dir“ spielt auf die biblische Geschichte von Jesus beim Zöllner Zachäus an, der für die Römer Abgaben eintreibt. Die Juden sehen in ihm einen verhassten Kollaborateur, und Jesus kehrt bei ihm ein, um mit ihm gemeinsam zu speisen. Beim Gesprächs- und Veränderungsprozess im Bistum Aachen geht es Bischof Dieser um die Frage, „wie wir als Kirche in die heutige Pluralität der Gesellschaft neu aufbrechen können, um den Menschen verschiedener Milieus die Begegnung mit dem Evangelium zu erschließen.“ Die ersten Erkenntnisse aus vielen Gesprächsrunden sollen 2020 in der Phase „Wir wollen uns verändern“ diskutiert werden. Bis 2021 sollen Menschen aus allen Gesellschaftsbereichen die Glaubensangebote analysieren und neue Konzepte
entwickeln. hb