<strong>Viersen. Maurice Steger ist gnadenlos. Dabei ist sein Ton durchaus freundlich. "Laura, wo würdest Du den Akzent bei den Triolen setzen?" Die 17-jährige Meisterschülerin beim 2. Viersener Musiksommer hält die Altblockflöte vor ihrem Körper. "Auf dem ersten Ton?" - "Das klingt ein bisschen brav" gibt Steger zu bedenken. "Aber probier’s mal." Lauras Finger heben und senken sich in rasendem Tempo von den Löchern des Holzrohres, durch das sie ihren Atem gleichmäßig strömen lässt. Die Töne purzeln durch den Keller der Festhalle. Hier steht das Cembalo, auf dem Wiebke Weidanz die Flöten begleitet."Und?" fragt Steger, als sie das Allegro aus der La Follia von Arcangelo Corelli beendet hat. Laura ist sich nicht mehr sicher. "Ich finde, das ist etwas pflatschig", sagt der Schweizer Professor und die Schülerin aus Leonberg bei Stuttgart pflichtet ihm bei. Tatsächlich: die neue Version, mit der Betonung auf der dritten Note, klingt viel frischer, das kann auch ein unwissender Besucher hören. "Terzenflimmern" nennt Steger die Passage mit den schnellen, sechzehntel Noten. Doch, das trifft das Empfinden. "Da musst du cool durchgehen." Steger gibt der Interpretin eine Anregung für die Bewältigung. Genau das Gegenteil von der beabsichtigten Wirkung wird von ihr als innerer Haltung verlangt. Laura schafft es. "Bravo", sagt Steger anschließend.

Dann der Übergang zum Andante. Zunächst alleine, ohne Cembalo-Begleitung nackt, ziehen sich die Flöten-Töne langsam durch den Raum. Steger springt von seinem Stuhl auf, stoppt Lauras Spiel. "Das muss aus einer anderen Welt kommen", sagt er mit entrücktem Gesichtsausdruck.

Stefan Temmingh ist dran. Der 28-jährige Student aus München spielt ein Stück in Cis-Moll. "Cis-Moll ist so fantastisch traurig", strahlt Steger angesichts der nicht alltäglichen Tonart. "Wie in Barockopern. In einem Augenblick weint sie noch" - er macht eine spannungsvolle Pause. "Und plötzlich hat sie ihren Liebhaber wieder."