Viersen Haftungsfrage nach SVEN-Deal offen
Viersen · Die Politik will nun wissen, wer die Verantwortung trägt – und wer die Kosten.
Nach dem angekündigten Rückzug der NEW AG aus der Entwicklung des Elektroautos „Sven“ hat sich der Viersener Hauptausschuss mit dem Thema befasst. Dabei wurde auch die Frage nach Kosten und Konsequenzen gestellt.
Der kommunale Energieversorger hatte sich über eine Tochterfirma mit 2,5 Millionen Euro Wagniskapital an dem Aachener Start-up „Share2drive“ beteiligt, ohne dass es dafür entsprechende Ratsbeschlüsse aus Mönchengladbach und Viersen gab. Das Vorgehen hatte die Bezirksregierung Düsseldorf als Aufsichtsbehörde auf den Plan gerufen, die das Investment in der vergangenen Woche als rechtswidrig einstufte. Mit ein Grund ist die mangelnde politische Beteiligung an der Entscheidung – die aber sieht die Gemeindeordnung zwingend vor: Gladbach hält rund 60 Prozent, Viersen rund 20 Prozent Anteile an der NEW AG. Auch die vorgeschriebene Anzeige bei der Bezirksregierung Düsseldorf unterblieb.
Warum kam die Beteiligung der NEW-Tochter an dem Aachener Unternehmen in Viersen nicht auf die Tagesordnung des Stadtrates? Beschlossen wurde sie bei einer NEW-Aufsichtsratssitzung im Frühsommer 2018. Die Vertreter der kommunalen Gesellschafter – Bürgermeisterin Sabine Anemüller für Viersen, Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners (CDU) für Mönchengladbach und der Heinsberger Landrat Stephan Pusch (CDU) – hatten dabei offenbar schon ein schlechtes Gefühl: Zu Beginn der Sitzung stand Teilnehmern zufolge im entsprechenden Papier noch ein Passus, dass der Beschluss unter Vorbehalt der Stadträte der Kommunen erfolge. Er sei jedoch auf Vorstoß eines Aufsichtsratsmitglieds gestrichen worden. Die Vertreter der kommunalen Gesellschafter hatten sich nach einer Sitzungsunterbrechung deshalb der Stimme enthalten.
Sabine Anemüller wollte auf „mehr Licht im Dunkel“ warten
Bürgermeisterin Sabine Anemüller (SPD) erklärte nun, dass die Stadtverwaltung bereits eine Vorlage für die November-Sitzung des Haupt- und Finanzausschuss vorbereitet habe. „Fast zum gleichen Zeitpunkt wurden wir aber über das Prüfverfahren der Bezirksregierung informiert“, erklärte die Bürgermeisterin. Daraufhin habe sie den Punkt wieder von der Tagesordnung nehmen lassen – bis „mehr Licht ins Dunkel“ gebracht sei. Nachdem unsere Redaktion über das Projekt und die Beteiligung der NEW berichtet hatte, fragte der CDU-Fraktionsvorsitzende Stephan Sillekens in der Februar-Sitzung des Hauptausschusses nach Details. Dort hatte Anemüller erklärt, das Thema werde „beizeiten weiterbehandelt“, wenn die Prüfung der Bezirksregierung abgeschlossen sei.
Stephan Sillekens übte in der jüngsten Sitzung des Hauptausschusses scharfe Kritik am Vorgehen der NEW: „Die Gesellschafter haben deutlich signalisiert, dass sie der Beteiligung keine Zustimmung geben.“ Dennoch habe sich der Vorstand über die Bedenken hinweggesetzt. „Wir werden politisch diskutieren müssen, wie wir verhindern können, dass wir solch’ ein Verhalten in Zukunft nicht hinnehmen müssen.“ Daneben habe das gescheiterte Invest Kosten verursacht – so hatte die NEW einen Prototyp des Elektro-Autos „Sven“ bei einem aufwändigen Event in Mönchengladbach vorgestellt. „Über welche Kosten reden wir hier? Wer übernimmt die Haftung für diese Kosten, wenn die Unternehmensspitze handelt, ohne die Rückendeckung der Gesellschafter zu haben?“, wollte Sillekens wissen. „Nach der Sommerpause werden wir darüber sprechen müssen.“
Auch in Mönchengladbach regt sich Kritik aus der Politik. In einem Dringlichkeitsantrag fordern die Oppositionsparteien Linke, FDP und Grüne den Oberbürgermeister auf, einen Bericht über besagte Beteiligung der NEW an der Aachener „Share2drive“ GmbH abzugeben und wollen einen eigenen Tagesordnungspunkt mit Aussprache zu dem Thema. „Der Verlust für die NEW mag noch nicht bezifferbar sein, der Schaden für die Stadt ist eindeutig entstanden“, sagte FDP-Fraktionschefin Nicole Finger. „Ein Vertrauensverlust bei der Kommunalaufsicht schränkt den Handlungsrahmen für alle zukünftigen Projekte ein, die der Zustimmung der Kommunalaufsicht bedürfen.“ Torben Schultz, Vorsitzender der Mönchengladbacher Linken-Ratsfraktion, hatte Anfang Oktober das Verfahren bei der Bezirksregierung angestoßen. „Nun wird deutlich, dass wir damals recht hatten“, so Schultz. „Mehrere Instanzen haben rechtswidrig gehandelt und dies, trotz Warnung, bis zum bitteren Ende durchgezogen. Wir reden also von vorsätzlichem Handeln entgegen der Interessen der Kommune.“ Das wies der Mönchengladbacher CDU-Fraktionsvorsitzende Hans Peter Schlegelmilch, der auch Aufsichtsratschef der NEW AG ist, zurück: „Mein Handeln ist auf das Wohl des städtischen Haushalts und der NEW AG gerichtet.“ Schlegelmilch sagt, es müsse nun ein entsprechender Aufsichtsratsbeschluss zum Verkauf der Anteile gefasst werden. Er gehe davon aus, dass dies so schnell wie möglich geschehe. Die nächste reguläre Aufsichtsratssitzung ist allerdings erst im September. Welchen Verkaufspreis die NEW dann erzielt und ob alle mit dem Kauf verbundenen Kosten wieder hereinkommen, ist offen. „Ich kann überhaupt nicht erkennen, dass der NEW ein materieller Schaden entstanden wäre“, so Schlegelmilch.