Viersener Jazzfestival: Blaue Stunden in der Festhalle
1130 Besucher sorgten für einen neuen Rekord. Höhepunkt: Klaus Doldinger mit seiner Band Passport.
Viersen. Mit einer blauen Stunde ist gemeinhin eine Zeit der Ruhe zwischen Tag und Abend gemeint. Augenblicke, in denen der Stress des Alltags fern ist und Zufriedenheit zum Schneiden dick.
Blaue Stunden durften die Besucher des 24. Viersener Jazzfestivals in der Festhalle und der Kreuzkirche viele erleben. Das lag nicht nur daran, dass Titel wie etwa "Mood Indigo" oder "Peggy’s blue Skylight" eine Verbindung zur Farbe Blau herstellten.
Zum Auftakt entführte Pianistin Aziza Mustafa Zadeh in der Kreuzkirche ihre Zuhörer in melancholische Klangräume. Wie eine gelungene Melange aus Chopin und Keith Jarrett klang das Spiel der zierlichen Frau aus Aserbeidschan. Sie war von der Atmosphäre in der Kirche angetan. "Das ist eine ganz besondere Stimmung hier, man merkt gar nicht, wie schnell eine Stunde dahinfliegt."
In der Festhalle zeigte die WDR-Bigband, dass die Songs des 1979 verstorbenen Genie-Bassisten Charles Mingus Bigband-kompatibel sind und durchaus in aktuelle Arrangements gegossen werden können.
Im clubartigen Festhallenkeller sorgte unterdessen das Matthias Schriefl Trio für die erste Überraschung. Müsste der erst 28 Jahre alte Schriefl aus Kempten im Allgäu in eine Musikgattung einsortiert werden, sie würde Folk-Punkjazz heißen. Dabei bläst er nicht nur Trompete, sondern gerne auch mal Sousaphon und Alphorn. Die Zuhörer waren aus dem Häuschen.
Während Odean Pope und seine All Star Group am späten Freitagabend noch vor zahlreichen leeren Stuhlreihen spielen mussten, war die Festhalle am Samstagabend bis auf den letzten Platz gefüllt. "1130 Menschen sind heute Abend hier, ein Rekord für den Samstagabend", freute sich Ali Haurand, künstlerischer Leiter des Festivals.
Zwar musste beim Auftritt des Saxofonisten Steve Coleman und seinen Five Elements arg experimentelle Kost verdaut werden. Doch Traditionalisten wurden im Klusen-Saal fündig. Dort feierte Ack van Rooyen aus den Niederlanden am Flügelhorn gemeinsam mit Paul Heller am Saxofon und dessen Quintett die Unverwüstlichkeit des Hardbop.
Ausnahmedrummer Manu Katché richtete erstmal sein Schlagzeug auf der Bühne neu. Schließlich sei ein Millimeter ein Millimeter. Und nicht zwei. Das Publikum verzieh ihm die Verzögerung angesichts der gelungenen Fusion aus Braziljazz und traditionellen Klängen augenblicklich und genoss den Appetitmacher vor dem Höhepunkt des Abends: Klaus Doldinger und seine Gruppe Passport.
Jazzlegende Doldinger, Komponist der Tatort-Melodie, verstand sich als Bandleader alter Schule. Aufgeräumt lobte er die Stimmung in der Festhalle, stellte jeden Song ausführlich vor. Der raumgreifende Klang riss die Zuhörer mit. So sehr, dass der Auftritt von Ochsenknecht für drei Titel von einigen Zuhörern offenbar als Bruch empfunden wurde: Sie verließen den Saal und verpassten so das Tatort-Thema.
Dafür konnte man im Keller noch bis tief in die Nacht zu den Klängen der Tohuwabohu-Marching Band abfeiern. Ein schöner Abschluss, der Vorfreude auf das kommende Jazzfestival macht. "Vorfreude darauf ist mir auch von Seiten der Lokalpolitik zugesichert worden", erklärte Haurand. Es werde in jedem Fall ein 25. Jazzfestival geben, wenn auch mit reduziertem Programm, bestätigte Kulturreferentin Tanja Muschwitz. "Was danach geschieht, müssen wir abwarten."