Politik in Willich Als Ratsbewerber per Annonce gesucht wurden
Willich · Sie sind seit 40 Jahren Teil des Willicher Stadtrats: Das feierte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nun mit vielen Gästen auf dem Stautenhof. Wie alles begann.
Im März 1984 wurden Mitstreiter für eine „grüne offene Liste“ per Annonce gesucht – für eine erste Versammlung in der – heute nicht mehr existenten – Gaststätte Heidekrug in Willich, erinnerte sich Hagen Becker: Er und Roland Müller waren bei der Feier zum 40-jährigen Bestehen der Grünen-Ratsfraktion in Willich die am längsten kommunalpolitisch aktiven Grünen.
„Diese Annonce habe ich gelesen und bin hingegangen. Wir waren etwa 50 Leute, und nach anderthalb Stunden war sicher, dass wir in den Rat wollten“, beschreibt er. Zur Erinnerung: Die heutige Partei Bündnis 90/Die Grünen hatte sich erst am 12./13. Januar 1980 in Karlsruhe gegründet. In Willich berichteten kurz danach die „Report Nachrichten am Sonntag“ auf der ersten Seite am 20. Januar 1980: „Sie haben sich gegründet – die ‚Grünen‘ in Willich“.
Die Versammlung im Heidekrug diente der Vorbereitung der Kommunalwahl am 30. September 1984. Die Ratsbewerberliste wurde letztlich – wie bis heute bei den Grünen üblich – aus Partei-Mitgliedern und parteilosen Unterstützern gebildet, der Wahlkampf wurde mit viel Eigenleistung improvisiert. „Wir mussten uns alles selbst beibringen, es gab ja noch keine Strukturen auf Landes- oder Bundesebene hinter uns“, so Becker: Es habe Leute gegeben, die den Grünen Geld vorstreckten, Blanko-Plakate wurden selbst bemalt und die Bewerber hätten Kurse zu Themen wie Haushalt oder Flugblatt-Gestaltung besucht. Das Ergebnis: Bei der Wahl erhielten die Grünen in Willich aus dem Stand 10,5 Prozent der Stimmen (Quelle: Stat. Landesamt NRW).
Es folgte eine Zeit der Auseinandersetzungen mit den etablierten Parteien, „die anderen haben uns zu Beginn gehasst“, beschreibt es Becker, der selbst erst seit 1987 als Nachrücker offizielles Ratsmitglied wurde. So seien etwa Sitzungsunterlagen verspätet zugestellt worden und die Grünen hätten sich den Respekt erkämpfen müssen. Ein Streitthema sei zum Beispiel die Anschaffung neuer Sessel für den Ratssaal (Kosten 800 DM pro Stuhl) gewesen. Das sei den Grünen zu teuer gewesen, deswegen seien sie zu einer Ratssitzung mit Klappstühlen gegangen Aber: Im Nachhinein habe sich diese Investition durchaus durch die Langlebigkeit der Sitzmöbel gelohnt, räumt er heute ein.
Auch innerhalb der eigenen Fraktion sei nicht immer alles glatt gegangen, erinnert er sich: Er selbst habe bei der Aufstellung der Reserve-Liste 1984 erst nach der dritten Kampf-Abstimmung einen Platz erhalten. „Es war eine wilde Zeit, Geschichten gibt es endlos. Aber auch heute erlebt man immer noch Überraschungen“, meint Becker.
Zeitsprung: Heute ist die Partei, die sich 1980 mit 25 Köpfen gründete und zum Beispiel 2019 nur 19 Mitglieder hatte, auf 80 Mitglieder gewachsen, freute sich die Parteivorsitzende Claudia Poetsch bei der Jubiläumsfeier am Samstag auf dem Stautenhof. Sie verwies darauf, dass viele grüne Themen in der Gesellschaft etabliert seien – etwa die Ernährungsumstellung hin zu mehr vegetarischem Essen oder die Energiewende. „Wir haben uns verändert, aber wir haben unsere Kernthemen immer beibehalten. Grün ist eine Haltung“, so Poetsch. Sie bat die Gäste um eine Minute stillen Gedenkens an die Opfer des Messerangriffs in Solingen am Freitagabend.
Der Fraktionsvorsitzende Christian Winterbach erinnerte an das Wechselspiel der Zahlen – die Ratsfraktion habe zeitweise nur aus zwei Mitgliedern bestanden. Aber die Fraktion sei kontinuierlich gewachsen und die Wahlergebnisse der Grünen seien im Schnitt immer zwischen drei und fünf Prozent besser als im Landesschnitt, sah er die Grünen in Willich gut aufgestellt. Mit 13 Ratsmitgliedern sind die Grünen im aktuellen Willicher Rat die zweitstärkste Fraktion. Das führte Winterbach darauf zurück, dass die Grünen immer sachorientiert gearbeitet hätten. Sie seien zu Kompromissen bereit, aber nicht beliebig, betonte er. In dieser Legislatur-Periode sei die Arbeit im Willicher Rat allerdings schwieriger geworden, weil die anderen Parteien eher Wert auf ihre politischen Überzeugungen legten, so Winterbach.