Freie Sicht bis nach Düsseldorf
Ein Mediziner ist Eigentümer des alten Wasserturms von St. Tönis.
Tönisvorst. Der erste Schritt noch oben führt durch eine unscheinbare graue Metalltür. Sie quietscht ein wenig und gibt den Weg in einen engen Gang im Inneren des achteckigen Ziegelbaus frei. Eine schmale Betontreppe führt in den ersten Stock, vorbei an dicken Rohren — in den Saal einer Tanzschule.
Von hier kommt nur weiter, wer in Begleitung von Cornelius Vogl ist, dem Eigentümer des St. Töniser Wasserturms. „Passen Sie auf die Stahlseile auf“, warnt er und weist den Weg zu einer kleinen Luke am Ende einer steilen Treppe, versteckt hinter einem großen Bühnenbild.
Hinter der kleinen Tür beginnt der richtige Aufstieg im hohlen Inneren des Turms. Bis auf 20 Meter Höhe führen die glatten Betonstufen. Kaum zu glauben, dass sie schon über 80 Jahre alt sind — sie sehen aus wie neu. Durch die blinden Fenster fällt Licht in das acht Meter durchmessende Treppenhaus. Eines der Fenster ist zerbrochen. „Da fliegen öfter mal Vögel hinein.
Denen muss ich dann wieder nach draußen helfen“, sagt Vogl. Und einer dieser Vögel hat bei seinem Irrflug in den Turm sein Essen verloren — eine tote Feldmaus liegt einen Treppenabsatz höher. „Turmfalken“, sagt Cornelius Vogl. Sie nisten in Kästen an der Außenwand des Turms. „Ein Paar mit zwei Jungen haben wir gerade.“
Am Ende der Stufen schlägt dem Turmbesteiger eine Wand aus warmer Luft entgegen. Denn in der oberen Etage, direkt unter dem 300 Kubikmeter fassenden Wassertank, befindet sich ein ganzer Antennenpark inklusive surrender grauer Steuerkästen.
Zwei große Mobilfunkanbieter senden von hier in die Region. Die Miete, die sie dafür zahlen, nutzt Vogl für den Unterhalt des Turms. „Der Turm verschlingt aber mehr Kosten, als die Antennen einbringen“, sagt er.
Von der schwülwarmen Technik-Etage sind es noch mehr als zehn steile Meter bis zur Spitze des Wasserturms. Doch mit der breiten Treppe ist es nun vorbei — eine rostige Leiter führt durch den engen staubigen Raum zwischen dem riesigen Wasserbehälter und der Ziegelwand. Steil geht es nach oben — bloß nicht neben die Sprosse treten oder in die Hinterlassenschaften eines Vogels packen.
Die Mühe lohnt. Kaum hat man die enge Dachluke hinter sich gelassen, belohnt eine herrliche Aussicht für den anstrengenden Aufstieg.
Weit hinten im Süden steigen die Wasserdampfwolken der Kraftwerke hinter Abraumhalden in die Höhe, etwas östlich davon sind die Umrisse der Düsseldorfer Innenstadt zu sehen. „Da hinten ist Anrath“, sagt Vogl und zeigt nach Westen auf eine Kirchturmspitze, hinter der die Süchtelner Höhen in einem Dunstschleier verschwinden.
Vogl ist gerne auf seinem Wasserturm, auch wenn er bei jedem Aufstieg neue Schäden an dem 80 Jahre alten Bauwerk feststellt. Etwa lockere Steine in den gemaurten Brüstungen oder eine kleine Birke, die aus dem Beton wächst.
„Durch die ganze Arbeit habe ich den Turm richtig lieb gewonnen“, sagt der Internist. Von der Spitze schaut er gerne und oft über seine Heimat St. Tönis. „Da kann ich immer wieder schauen was wo liegt“, sagt er und listet die drei Bauwerke auf, die seiner Meinung nach die Wahrzeichen von St. Tönis sind. „Die Kirche St. Cornelius, die Mühle und der Wasserturm.“
Die Krefelder Innenstadt mit den markanten Kirchtürmen und dem Stadtwerkehaus ist deutlich zu erkennen, dahinter der Chemiepark in Uerdingen, über dem Hüttenwerk Krupp Mannesmann in Duisburg-Hüttenheim steigt eine riesige Wolke aus Wasserdampf empor.
Plötzlich laute Schreie. Das Turmfalkenpaar ist zurückgekehrt. Mit akrobatischen Flugmanövern umkreisen die grau-braunen Vögel die Spitze des Wasserturms. Wir beginnen den Abstieg. Beim Füttern ihres Nachwuchses wollen die Greifvögel lieber ungestört sein.