Interview „Man ist jetzt ein bisschen unsterblich"

Willich · Die Willicher Sychronschwimmerin Birte Hohlstein-Janssen wurde in die „Hall of Fame“ des Schwimmsports aufgenommen.

Die beiden Synchron-Schwestern aus Willich sind nun beide in der „Hall of Fame“ des Schwimmsports.

Foto: privat

Birte Hohlstein-Janssen blickt auf eine lange Karriere zurück. Die heute 53-Jährige war mit ihrer Schwester Silke Hohlstein-Terwesten zwischen 1994 und 2019 zehnfache Weltmeisterin im Sychronschwimmen bei den Masters im Seniorenbereich. Bei der sogenannten „Honoree Induction Ceremony“ im amerikanischen Ford Lauderdale/USA wurde sie jetzt Mitte Oktober nach ihrer Schwester, die sie und Tochter Sarah begleitete, als erst zweite Synchronschwimmerin Europas in die „Masters International Swimming Hall of Fame“ aufgenommen.

Frau Hohlstein-Janssen, erstmal herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung. Wie haben Sie die Feierlichkeiten in Amerika wahrgenommen?

Bettina Hohlstein-Janssen: Vielen Dank. Das war sehr beeindruckend, das ist da ja so was wie das Mekka des Schwimmsports. Da gibt es ein riesiges Schwimmzentrum und ein Museum, so ein bisschen wie das Fußballmuseum in Dortmund. Jeder, der dort aufgenommen wird, hat da einen „Schrein“, eine Ecke und einen Platz, wo Utensilien sind, die für einen aussagekräftig sind. Bei meiner Schwester war es der erste Duett-Anzug, mit dem wir Weltmeisterinnen geworden sind. Ich habe leider noch nichts abgeben können, weil dort noch umgebaut wird.

Wie war das Gefühl, neben Topstars wie dem früheren Wassersprung-Olympiasieger Greg Louganis gleichberechtigt zu stehen? Wie haben die Amerikaner Sie wahrgenommen?

Hohlstein-Janssen: Greg Louganis stand neben mir, sah aus wie der junge Karl Lagerfeld, war sehr extrovertiert. Aber das war das Schöne, dass die auch ganz normal sind und die gleiche Leidenschaft haben wie wir. Das kam alles ganz normal rüber, weil unsere Leistung von den Leuten genauso gewürdigt wird. Meine Tochter und ich sind durch die Halle des Marriott-Hotels gelaufen, da kamen wildfremde Menschen auf mich zu und gratulierten. Das ist eine komplett andere Welt.

Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Sie?

Hohlstein-Janssen: Man ist jetzt so ein bisschen unsterblich, und das kann mir keiner mehr nehmen. Wir reden von Synchronschwimmen, einer Sportart, die schon im Leistungssport ganz wenig anerkannt wird, weil diese Sportart viele Jahrzehnte nur von Mädchen und Frauen ausgeübt wurde. Und im Masters-Sport ab 20, bei den Senioren, wird das dann noch mehr belächelt, nicht nur im Zusammenhang mit der Sportart. Dazu kommt noch, dass der Deutsche Schwimmverband und wir nicht die besten Freunde sind. Offiziell hat niemand vom DSV weder bei mir noch bei meiner Schwester 2017 gratuliert. Bei meiner Schwester wurde sogar in Frage gestellt, ob sie überhaupt in die „richtige“ Hall of Fame aufgenommen wurde.

Wie kommt das?

Hohlstein-Janssen: Der DSV hat mehrfach vergeblich versucht, Personen aus anderen Sparten in die Hall of Fame reinzubekommen. Wir wurden von Amerikanern vorgeschlagen, die die Informationen über unsere Erfolge weitergaben. Denn auch die wurden nie offiziell erwähnt. Das fanden die wohl nicht so toll. Das ist eine Auszeichnung, die ganz ganz selten ist. Da schwingt auch ein bisschen Befriedigung mit, damit denen eine lange Nase zu zeigen.

Wem verdanken Sie die Leidenschaft für den Sport?

Hohlstein-Janssen: Meine beiden Eltern haben daran einen Wahnsinnsanteil. Ich empfinde viel Dankbarkeit meiner Mutter gegenüber, ohne deren Unterstützung hätten wir das nicht alles geschafft. Sie weiß wegen Demenz mit 78 leider nicht mehr, was Synchronschwimmen ist. Sie hat uns trainiert, hat im Landesschwimmverband und dem DSV gearbeitet, international für die Masters die Sache vorangetrieben, die deutschen Masters-Meisterschaften im Synchronschwimmen forciert, erfolgreich für die Durchführung von Masters-Europameisterschaften im Synchronschwimmen gekämpft. Und mein Vater war für die Technik zuständig. Früher gab es ja nur aus den USA so Unterwasserlautsprecher. Da hat er im Keller mit den Tupperdosen der Mutter was zusammengelötet und reparierbare Lautsprecher gestaltet, die später sogar bundesweit einsetzbar waren. Beide haben in unserer Jugend ihr ganzes Geld in unseren Sport gesteckt. Und Papa und ich, als ich klein waren, sind oft zu Wettkämpfen meiner Schwestern und meiner Mutter als Trainerin oder Wertungsrichterin hinterhergefahren, damit die Familie zusammen ist.

Wie kam die Familie denn überhaupt zum Synchronschwimmen?

Hohlstein-Janssen: Meine älteste Schwester hatte als Kind schweres Asthma. Der Kinderarzt schlug vor, sie müsse einen Sport machen, wo die Lunge gefordert ist. Da kam in den 70er Jahren in Willich erstmal nur Schwimmen in Frage. Und da gab es eine Synchron-Sportgruppe, die damals von Frau Hänisch trainiert wurde, deren Tochter Gudrun 1984 dann bei Olympia im Duett teilgenommen hatte. Die kam immer nach den Schwimmern. Meine älteste Schwester guckte zu, meine mittlere Schwester fand es auch ganz toll. Da wollten sie gerne mitmachen. Wir haben fünf Kilometer außerhalb gewohnt. Meine Mutter hat im Schwimmbad immer gewartet, bis das Training fertig war. Irgandwann fragte sie die Trainerin: Wollen sie nicht die Kleinen auch mit beaufsichtigen? Ich war 5-6 Jahre alt und musste immer mit, und mein Vater halt auch, weil er die Musik immer an- und ausmachen musste. Und irgendwann packte mich der Ehrgeiz, weil ich auch so toll werden wollte wie meine Schwestern. Wir waren drei Schwestern, ich die jüngste, die in den 80er und 90er Jahren in der Nationalmannschaft aktiv waren. Meine älteste Schwester hat, als sie schwanger wurde, sofort aufgehört. Jetzt bin ich 53, wir sind weit über 45 Jahre dabei. Wenn mir das vorher jemand gesagt hätte.....

Was fasziniert Sie so an diesem Sport?

Hohlstein-Janssen: Die Vielseitigkeit. Die Schwimmer sind Kachelzähler, und wir sind die Kringeldreher. Der wenigste Anteil passiert im Wasser. Als wir in der Nationalmannschaft waren, hatten wir Ballett, machten Krafttraining, mussten was für die Ausdauer tun. Die Beweglichkeit musste geübt werden. Dann kommt auch noch das Künstlerische dazu, dass man vor allem im Solo oder im Duett schon mit der Wahl der Kürmusik ausleben kann, was man ausdrücken möchte. Das ist ja auch eine kompositorische Sportart. Das wird im Alter besser und einfacher als in der Jugend. Eine 88-Jährige hat mal bei den Masters zu „Time to say goodbye“ geschwommen. Da hatten alle Wertungsrichter Tränen in den Augen.

Der Sport hat für Sie auch eine große emotionale Komponente...

Hohlbein-Janssen: 1992 hatte meine mittlere Schwester und Duettpartnerin Silke einen sehr schweren Verkehrsunfall mit Schädelhirntrauma, Fußtrümmerbruch, Oberschenkelbruch und Fußheberparese, eine ganz lange Narbe am Oberschenkel. Die Ärzte sagten ihr: Sie machen nie wieder Sport. Daraufhin ist sie von Vertretern des DSV noch im Krankenhaus aus der Nationalmannschaft geworfen worden, weil sie keinen Krüppel dabei haben wollten, das muss man so hart sagen. Damals musste ich etwas finden, um sie da rauszuziehen. Da habe ich rausgefunden, dass es was „mit Masters“ gibt. 1992 war eine Weltmeisterschaft, ich habe einen Münchener kontaktiert, erfahren, dass das alle zwei Jahre stattfindet, die Nächste 1994 in Montreal. Ich habe Silke im Krankenhaus einen kanadischen Cent geschenkt und ihr gesagt: da fahren wir hin. Zwei Jahre später sind wir dorthin geflogen und wurden Weltmeister. Und vor sechs Jahren bekam Silke einen Tag vor ihrem 50. Geburtstag die Diagnose Krebs. Da war der zweite Punkt, wo sie gesagt hat: sie möchte nicht mehr kämpfen. Ich habe dann ganz viele Synchronschwimmerfreunde und Menschen vom Masters angemailt, über Facebook berichtet, die Silke will nicht mehr, wir brauchen eure Unterstützung, damit sie ihren Lebenswillen behält und eine OP macht. Wir wurden überwältigt - es kamen Videos, Fotos, Sprachnachrichten und E-Mails von Wertungs- und Schiedsrichtern weltweit, von früheren Konkurrenten. Da habe ich das zweite Mal gemerkt, wie wichtig dieser Sport ist. Sie wurde wieder fit und wir sind 2018 erneut Europa- und 2019 wieder Weltmeisterinnen geworden. Und wir versuchen jetzt nach Corona und weiteren Verletzungspausen, das Geld für die WM in Japan nächstes Jahr zusammenzubekommen.

Teilen Ihre Kinder Ihre Leidenschaft?

Hohlbein-Janssen: Nein, aber mit jedem Kind verbindet sich eine Synchron-Geschichte. Der Älteste kam mit fünf Monaten zur WM nach München mit, beim Zweiten wurde ich sechs Wochen nach seiner Geburt Deutsche Meisterin. Und 2007 gab es dann die ersten europäischen Masters-Meisterschaften, da war ich zum dritten Mal schwanger und wurde mit meiner Tochter im Bauch in der 18. Schwangerschaftswoche in Slowenien Duett-Europameisterin. Wir waren ein Trio, kein Duett, aber ich habe es keinem gesagt. Meine Tochter Luzie war mit in Fort Lauderdale live mit dabei, darauf bin ich stolz, denn ohne die Unterstützung meines Mannes und meiner Kinder könnte ich das alles nicht realisieren.

Wie lange wollen Sie den Sport noch weiter ­ausüben?

Hohlbein-Janssen: Als wir das erste Mal zur WM nach Montreal fuhren, trafen wir auf eine ältere Dame. Die sagte: Es gibt nur zwei Gründe fürs Aufhören: entweder man ist schwanger — das habe ich ja schon erfolgreich widerlegt — oder man ist tot. Von daher hoffe ich, dass ich das noch lange machen kann. Meine beiden Knie haben Arthrose, müssten eigentlich erneuert werden. Aber solange unsere Körper das mitmachen und solange wir das Geld für die Fahrten zusammenkriegen, machen wir das. Silke und ich sind auch beim TV Schiefbahn als Trainerinnen tätig, wollen durch unsere eigene Geschichte den Kindern mitgeben, dass man sich nicht verstecken muss. Denn wenn ich sage: Jeder Mensch kann irgendwas besonders gut, schaut mich an: Ich bin Synchronschwimmerin und Weltmeisterin, dann kommt der Blick von oben nach unten. Und wenn ich denen dann ein Video zeige, stehen da alle mit offenen Mündern und nehmen mich anders wahr.