Faszination Herz für Kult: „Ente gut, alles gut“
Kempen/Willich · Michael Pluschke aus Kempen, Pressesprecher der Stadt Willich, ist Fan der Baureihe „2 CV“.
Jo! Die Beifahrertür ist zu. Sie knallte gerade so ins Schloss, als sei daraufhin gleich eine der hinteren Türen aufgesprungen. In diesem Faradayschen Käfig des Baujahrs 1989 klingt alles so unverblümt, schonungslos, kein bisschen geschönt. Eben echt. Und ungepuffert.
Ganz im Gegensatz zu den Sitzen. Die hat Michael Pluschke vor drei Wochen erst in der Bequemlichkeitsskala nach oben getunt. Mit dem Material, mit dem man sonst Heizungsrohre ummantelt. So komfortabel geht’s nun auf den Kurs. Ein paar gekurvte Kilometer mit dem Kultauto „Ente“ durch Kempen, in dem roten Modell, dem Pluschke sein Schrauber- und Fahrerherz und die Buchstaben CV auf dem Nummernschild geschenkt hat.
Das erste Stammbaum-Modell der Reihe „Citroen 2CV“ war 1948, vor 70 Jahren, beim Autosalon in Paris vorgestellt worden. Der minimalistische Kleinwagen überholte als TPV, als „toute petite voiture“ (ganz kleines Auto) in den Jahrzehnten danach viele Konkurrenten und strafte vor 16 Jahren sogar noch einmal den hämischen Kommentar eines französischen Satire-Magazins ab, das anfangs gelästert hatte: „Konservendose, Modell freies Campen für vier Sardinen“ (Wikipedia). 2002 wählten die Franzosen ihre 2CV zum Auto des 20. Jahrhunderts. Platz und Sitzheizung sind eben nicht alles.
Für Pluschke ist der Wagen auch viel mehr. Ein Auto fürs Leben. „Ente gut, alles gut“, sagt er. Wenn die rote Karosserie um den luftgekühlten Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor mit Frontantrieb die nahezu täglichen Fahrten von Kempen über Vorst zum Neersener Schloss und zurück ohne Probleme nimmt, dann geht es dem Pressesprecher der Stadt Willich auch gut. „Ente fahren ist entschleunigend.“
Er hat nicht unrecht, obwohl sich Tempo 40 gerade wie 65 anfühlt. In diesem Voiture blendet man Welt, Wetter und Weggenossen nicht einfach aus. „Man muss sie fahren können“, sagt Pluschke. Damit meint er weniger die Bedienung der Revolverschaltung und das Cool bleiben in beachtlicher Kurvenlage, sondern das Lesen des Verkehrs: „In diesem Auto gibt es keine Knautschzone. Unter dem Sicherheitsaspekt: genug Abstand halten.“
Mitschwimmen im Verkehr, das kann die Ente. Was andere Autofahrer auf der Vorster Straße nicht davon abhält, die „Deux Chevaux“ trotz Tachoanzeige von 80 km/h zu überholen. „Das passiert mir auf der Strecke mindestens fünf Mal“, sagt Pluschke. „Aber an der Ampel in Vorst habe ich 80 Prozent der Wagen wieder vor mir.“
Seine erste Ente – eine grüne – fuhr er als Zivi, genoss es, entgegenkommende Fahrer der Baureihe mit dem V-Handzeichen zu grüßen. Diese Ente zerlegte es, als Pluschke mit einer Schrittgeschwindigkeit von sechs km/h auf einen Lastwagen auffuhr. „Ich war auf dem Weg zum Tüv, als der Totalschaden passierte.“ Der Lastwagenfahrer habe von dem Aufprall übrigens nichts mitbekommen und sei damals weitergefahren.
Später verordneten sich die Pluschkes mit zwei kleinen Kindern vorübergehend Enten-Pause. Die Familientauglichkeit des Gefährts wurde nicht strapaziert. Als aber ein Zweitwagen her sollte, fiel die Wahl wieder auf das Kultauto. Dieser ersten Roten folgte eine Weiße, die schließlich nach Finnland verkauft wurde, als die „kleinen“ Kinder plötzlich den Führerschein hatten und fahrbarere Modelle steuern sollten.
Zu seinem 50. Geburtstag kaufte sich Pluschke dann die jetzige rote Ente mit dem schwarzen Verdeck und „voll verzinktem Chassis“. Er liebt den unverwechselbaren Sound des eher röhrenden als knatternden Motors. Eine Fahrt hörbar zu machen, muss für einen Geräuschemacher die wahre Wonne sein – für einen, der das Quietschen der Bremsen, das Schlagen der Tür und die Melodie der emsigen kleinen Scheibenwischer auf der trockenen Windschutzscheibe nicht schnöde aus dem Tonarchiv zieht, sondern sie mit einem Sammelsurium an Hilfsmitteln entwirft.
Gut in Schuss ist die Ente. Das meint auch eine Passantin, die kurz stehen bleibt und in Erinnerungen schwelgt. Das passiert Pluschke oft. Beim Tanken, auf dem Parkplatz. Sympathiepunkte sind Auto und Fahrer unterwegs sicher.
Das Abenteuer Waschanlage hat Pluschke noch nie gewagt. Ginge auch nicht, obwohl „sie weitestgehend dicht ist“. Er übertreibe es nicht mit Putzen. Nur Vogelschiss wischt er sofort vom Lack. Handschuhe und Werkzeug liegen im Auto stets bereit. „In der Ente steckt keine Elektronik. Da kann man viel selber schrauben.“
Weil die „Beschleunigung so gruselschlecht ist“, wie Pluschke sagt, fühlt man sich als Fahrer und Beifahrer auf der Straße gar nicht erst gehetzt. Fahren ist für Pluschke und seine bald 30 Jahre alte Ente bis zu Temperaturen von minus zehn Grad eine Freude. Erst darunter wird die Kälte unangenehm und er gönnt seinem Wagen den Platz in der Garage.
Das Arbeitsauto hat in 80 Jahren in der Welt eine steile Karriere zum Kult-Vehikel zurückgelegt. Was CV2-Konstrukteur André Lefèbvre wohl über die Erntenliebhaber von heute sagen würde? Er, der ein Auto entwerfen sollte, das (laut Wikipedia) „Platz für zwei Bauern in Stiefeln und einen Zentner Kartoffeln oder ein Fässchen Wein“ bieten, mindestens 60 km/h schaffen und schlechteste Wegstrecken bewältigen können sollte. Es sollte so gefedert sein, dass „ein Korb voll mit Eiern eine Fahrt über holprige Feldwege unbeschadet übersteht“.
Die abfedernde Straßen- und Kurvenlage könnte man nächstes Jahr noch einmal testen. Mit Sahnetorte. 2019 feiert Pluschkes Ente ihren 30. Geburtstag. Als lässiger, junger Oldtimer – dann vielleicht mit H-Kennzeichen. Kult historisch.