Neersen: Berichte aus Russland – ohne Happy End
Wolfgang Boochs hat Briefe eines im Krieg gefallenen Onkels veröffentlicht.
Neersen. Wolfgang Boochs (66) hat vor zwei Jahren einen "Schatz" entdeckt: Einen alten brauen Koffer, gefüllt mit 106 Briefen. Geschrieben hatte sie sein Onkel Konrad Vander, jüngerer Bruder seiner Mutter Gerda, als Soldat in Russland. Jetzt gibt es die Briefe als Buch - seine Nichte Ingrid Boochs las am Wochenende im kleinen Sitzungssaal von Schloss Neersen daraus vor. Stadtarchivar Udo Holzenthal lobte das Werk: "Das Buch macht den Schrecken des Krieges anhand dieses Einzelschicksals fassbar."
Um es vorweg zu nehmen: Es gibt kein Happy End, irgendwann kommt kein Brief mehr bei der Metzgerei Vander an der Hauptstraße 62 in Neersen an. Das Schicksal des damals erst 20-jährigen Metzgergesellen bleibt bis heute offen. Vor diesem Hintergrund wirken seine Briefe umso bedrückender, etwa, wenn er Sätze wie diesen schreibt: "Glück muss der Mensch haben, um durch’s Leben zu kommen."
Ingrid Boochs las immer wieder einen Satz: "Sonst geht es mir gut, was ich auch von Euch hoffe." Dem jungen Mann, der den elterlichen Betrieb übernehmen sollte, ist jegliche Euphorie in Bezug auf den Krieg fremd. Er schreibt in kurzen Sätzen, fast schon banal klingt Vieles - schwer zu sagen, ob er seine Eltern und Schwester Gerda nur beruhigen wollte.
Der junge Soldat, fast noch ein Kind, schreibt hoch erfreut, wie er in Estland von einer Frau beinahe wie ein Sohn behandelt und wie früher bei Muttern sich mal so richtig den Bauch vollschlagen darf. Die Rede ist von Tanzvergnügen und einem Kinobesuch. Aber je länger sich der Krieg hinzieht, umso dramatischer wird es, auch wenn Konrad Vander, Jahrgang 1924, sich weiterhin unaufgeregt gibt. "Ja, ich bin verwundet worden, ein kleiner Riss am Kopf nur", müssen die besorgten Eltern lesen. Auch dass er hungern muss, was er aber sofort relativiert: "Mir geht es trotzdem noch gut."
Der Sohn von Johann und Maria Vander berichtet auch von Kameraden, die zu Krüppeln wurden. 1944 gratuliert er seiner älteren Schwester Gerda zur Geburt von Stammhalter Wolfgang.
Sein letzter Brief datiert vom 14. Januar 1945. Konrad Vander liegt in Königsberg, das von der Roten Armee umzingelt ist. Trotzdem ist der Junge optimistisch: "Hoffentlich geht der Krieg dieses Jahr aus und ich kann euch in der Metzgerei helfen." Nur einer von beiden Wünschen sollte in Erfüllung gehen.