Höhepunkte des Jahres 2021 Funde aus Vorst werden zu Stars im Museum

Vorst · Neues aus dem Altertum: Wieder sind bei Ausgrabungen nahe Vorst Gräber aus der Römerzeit entdeckt worden. Schon vorher galt Vorst als wichtigster Fundort im Kreis Viersen. Mit den neuen Ausgrabungen legt er noch eins drauf.

Funde aus dem Gräberfeld am Schmettershof, in der Mitte ein Glasfläschchen für Körperöl.

Foto: Jürgen Vogel, LVR-Landesmuseum Bonn

Bereits 1984 und 2015 waren am nördlichen Ortsrand von Vorst, nämlich „An Hinkes Weißhof“ und im Neubaugebiet „Försterhof“, Grabungen durchgeführt worden. Das Ergebnis der Grabbeigaben-Auswertung: Südlich davon, nahe des heutigen Vorster Ortskerns oder unter dem Ortskern selbst, war in römischer Zeit zur Versorgung der Bevölkerung ein Dorf angelegt worden, das vor allem aus Viehzüchtern bestand – etwa 400 Meter nördlich der heutigen Pfarrkirche St. Godehard. Aus Fachwerkgebäuden mit Strohdächern bestehend, die meisten mit Wänden aus Erde, von Flechtwerk gestützt, und ohne Fenster. An die 20 bis 30 Häuser.

Während seiner Blütezeit um 85 nach Christus umfasste das Dörfchen an die 32 Haushaltungen, mit knapp 200 Personen. Grabbeigaben deuten darauf hin, dass ein Teil von ihnen dem germanischen Stamm der Hermunduren angehörte, aus dem Raum Mecklenburg bis Thüringen. Die galten als Verbündete der Römer und wurden ab dem Jahre 3 vor Christus in menschenleer gewordenen Teilen der Provinzen am Rhein angesiedelt. Als Verbündete und als Produzenten von Lebensmitteln und Rohstoffen für die römischen Truppen an der Rheingrenze.

Die Ausgrabungen in Vorst waren in Fachkreisen eine Sensation, blieben aber der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Jetzt kommt‘s noch dicker: Vom Sommer 2020 bis zum Herbst 2021 legte ein Grabungsteam weitere Gräber frei. Mitarbeiter des Landschaftsverbandes Rheinland, Amt für Bodendenkmalpflege, entdeckten ein neues römisches Gräberfeld des ersten bis dritten Jahrhunderts; aber etwa drei Kilometer nördlich der bisherigen Grabungen. Es umfasst gut 100 Gräber aus der Eisen- und der Römerzeit. Das neue Feld bot eine Rarität: Die Gräber waren durch dicht beieinander liegende, rechteckige Gräbchen eingefriedet, in denen einst Zäune standen. Ein derartiger Fund war am Niederrhein bislang unbekannt.

Mithin gibt es jetzt im Bereich Vorst auf engem Raum gleich drei römische Fundplätze, die in Form eines Dreiecks beieinander liegen. Wobei das kürzlich entdeckte Feld mit den beiden 1984/2015 ausgegrabenen nichts zu tun hat. „Spannend!“ findet das Dr. Marion Brüggler, stellvertretende Außenstellenleiterin in Xanten. Sie hat die Grabungen 2020/21 wissenschaftlich betreut. „Eine so dichte Lage von Fundplätzen ist selten am unteren Niederrhein. Da ist eine richtige Siedlungskammer aufgetaucht.“ Wobei „Siedlungskammer“ eine besiedelte Landschaft bedeutet, von Wäldern umgeben. Angezogen wurden die Siedler durch die fruchtbaren Lösslehmböden am Rand der Kempener Platte.

Bei den Grabungen wurden zahlreiche Keramik-Gefäße aus dem Boden geholt. Und ein kleines Glasgefäß, ein sogenannter Aryballos. Er diente zur Aufbewahrung von Öl zur Körperpflege und wurde normalerweise beim Baden verwendet. Baden? Hat es im römischen Vorst eine Badegelegenheit gegeben, vielleicht sogar eine Therme? Aber das ist vorerst noch Spekulation.

Die Vorster Funde füllen zurzeit eine Vitrine in einer Ausstellung „Archäologie im Rheinland 2021“ im Museum des Landschaftsverbands in Bonn, Colmantstraße 14–16, die eine Zusammenschau der Highlights archäologischer Untersuchungen im Rheinland im Jahr 2021 bietet. Geöffnet bis zum 8. Mai, täglich dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr. Da sind aus einem Gräberfeld bei Zülpich feinste Glasgefäße zu sehen; kostbare Goldmünzen aus Nideggen und eben auch die Funde aus Vorst.

Wie kamen die Römer nach Vorst? Ausgangspunkt waren die Feldzüge, mit denen ihr Feldherr Julius Caesar in den Jahren 58 bis 51 vor Christus das Land zwischen Pyrenäen, Nordsee und Rhein der römischen Herrschaft unterwarf und eine Großprovinz Gallien schuf. Obwohl Caesars Vorstöße nur der Flankensicherung seines Gallien-Feldzugs dienten, schob er Roms Grenze bis an den Rhein vor. Das linke Rheinufer wurde römisch – und blieb es, bis 459 nach Christus die Provinzhauptstadt Colonia, das heutige Köln, von den Franken eingenommen wurde. An der nassen Grenze des Imperiums, dem Rhein, wachten Legionäre und Hilfstruppen gegen Überfälle rechtsrheinischer Germanen. Unser Gebiet war das Hinterland dieser Rheingrenze, die im Juli 2021 zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Es war damals dünn mit Landgütern und Dörfchen besiedelt, die vor allem der Versorgung der Truppen am Rhein mit Lebensmitteln wie Fleisch und Rohstoffen wie Wolle dienten. Mit den Soldaten kamen Handwerker und vermittelten dem Niederrhein römische Zivilisation.

Man fragt sich, was die Archäologen noch alles aus der Vorster Erde ans Licht bringen werden. Im Raum von Alt-St. Tönis wohl eher nichts. Der Ort liegt in einer Senke mit hohem Grundwasserstand, die sich über den Forstwald, die Holterhöfe und weiter über die Tackheide bis nach Fichtenhain hinzieht. Das Gebiet bestand lange aus Heideländerei, die eine intensivere Besiedlung erst im späten Mittelalter zuließ. Ausgrabungen dürften sich hingegen bei Alt-Willich lohnen. Hier gibt es zahlreiche Funde aus der römischen Zeit, meist aus dem 2. und 3. Jahrhundert nach Christus. Am intensivsten kommen sie nordwestlich des Willicher Ortskerns vor, hauptsächlich also auf der Münchheide, wegen der dortigen guten Böden. Aber auch wegen der römischen Heerstraße, die auf dem Weg vom Kastell Gellep am Rhein (bei Linn) schnurgerade an den Votzhöfen und der Münchheide vorbei nach Südwesten Richtung Tongern lief.

Von der Römerstadt in den heutigen Niederlanden wurden die Truppen, die den Rhein gegen Überfälle vom rechtsrheinischen, vom germanischen Ufer sicherten, mit Nachschub versorgt. Ein Straßen-Rest fand sich 1969 in Neersen: eine Holzbrücke, die damals über einen Seitenarm der Niers führte. Wahrscheinlich wurde sie um 70 nach Christus gleichzeitig mit dem Rheinkastell Gellep gebaut.