Lesung des Reisejournalisten Stephan Orth Autor liest skurrile Geschichten aus China

St. Tönis. · Der Journalist Stephan Orth war 2018 in China und schrieb darüber ein Buch, aus dem die St. Töniser jetzt Passagen hörten.

Stephan Orth schrieb „Couchsurfing in China“.

Foto: Wolfgang Kaiser (woka)

Stephan Orth ist alles andere als ein klassischer Tourist. „Ich bereise mit Vorliebe Länder, die einen schlechten Ruf haben“, sagt er vor den rund 50 Besuchern, die sich im St. Töniser Rathaus eingefunden haben. Der Grund: „Ich interessiere mich für den Alltag in diesen Ländern.“ An diesem Abend nimmt der Autor aus Münster die Besucher mit auf eine seiner Reisen – nach China.

Dort verweilte der 39-Jährige von März bis Juni 2018. Dass der Alltag dort so manche, nicht immer angenehme Überraschung parat hält, auch davon berichtet der Reisejournalist, der nicht in Hotels absteigt, sondern als sogenannter Couchsurfer die Welt bereist. Das heißt, er wohnt bei Menschen, die einem völlig fremden Menschen eine Schlafmöglichkeit zur Verfügung stellen. Im Gegenzug bietet der Reisende sein eigenes Sofa ebenso an. Möglich macht dies ein entsprechendes Portal im Internet.

Eine Chinesin zu Besuch in Hamburg brachte ihn auf die Idee

Und genau hier fängt die Chinareise an – und damit der erste Schritt zu seinem neuen Buch „Couchsurfing in China“. Orth berichtet, dass er seine Couch im heimatlichen Hamburg einer Chinesin zur Verfügung gestellt hatte. „Sie hat mich zu meiner China-Reise inspiriert“, erzählt er, und startet mit einer Passage aus seinem Buch, die in seiner Hamburger Altbauküche stattgefunden hat, wo er mit der Chinesin Tee trank. „Jede Reise beginnt mit einer Idee“, liest Ort. Er lässt die Besucher damit an der Entstehungsgeschichte seines Buches teilhaben. Vor den Augen der Zuhörer entsteht das Bild einer Küche, in der die beiden quatschen. Dazu hat Orth die Themen per Bild umgesetzt und lässt diese über eine Leinwand im Rathaus laufen. Dann geht es in das fremde Land.

Orth pickt Passagen aus seinem Buch heraus, liest vor, erzählt, zeigt Bilder und hat sogar Sprachnachrichten der Menschen dabei, bei denen er in China mehr oder weniger zufällig wohnte. So ertönt die Stimme von Englischlehrer Charly im Ratssaal – und sorgt zunächst für Gruseln. „Als mich Charly am Busbahnhof mit seinem elektrischen Scooter mit einem lilafarbenen Plastikdach abholte und mir mitteilte, dass sich seine Eltern sehr freuen würden, mich kennenzulernen und zur Feier des Tages den Hund für mich geschlachtet hätten, hielt ich das zuerst für einen Scherz“, erinnert sich Orth. Dass dem aber nicht so war und wie er in einem verräucherten Esszimmer mit Charlys Familie tatsächlich den Hund der Familie essen musste, beschreibt der Autor in seinem Buch.

Die chinesische Metropole Shenzhen ist in den vergangenen 40 Jahren von 30 000 auf zwölf Millionen Einwohner angewachsen.

Foto: CommonLicense Wikiepdia

Orth zeichnet ein Bild von einem Land voller Widersprüche. Auf der einen Seite gibt es dort moderne Technik mit völliger Überwachung der Menschen, auf der anderen Seite eine Bevölkerung, die in vergangenen Zeiten lebt: Bilder von Städten mit gigantischen Hochhäusern, dann wiederum Natur pur, Arm und Reich direkt nebeneinander.

Kameras an Ampeln nehmen die Gesichter von „Rotgängern“ auf

Es geht quer durch das Land, vom Süden in den Nordosten, nach Peking, dann wieder in den Südwesten. Orth ist immer da, wo gerade eine Couch frei wird. Wie sich China wandelt, verdeutlicht der Reisejournalist am Beispiel von Shenzhen: 1979 noch ein Dorf mit 30 000 Menschen, heute eine Stadt mit zwölf Millionen Einwohnern, 12 000 elektrischen Taxis und 17 000 elektrischen Bussen. Orth erzählt von Ampeln mit Monitoren, auf denen die Gesichter von Menschen gezeigt werden, die bei Rot über die Straße gegangen sind, dazu der Satz: „Wir wissen, dass sie das Gesetz gebrochen haben.“ Eine Überwachung, die mit Unterstützung von Gesichtsscannern weiter ausgebaut wird. So sollen zukünftig Strafbeträge bei derartigen Gesetzesübertretungen automatisch über das Handy vom Konto abgebucht werden.

Ein Bewertungssystem für das gesamte Leben mit entsprechenden Folgen geht in Kürze an den Start, berichtet Orth. Ungläubige und mehr als skeptische Gesichter bei den Zuhörern. Daneben erscheinen das Bestellen über ein Tablet im Restaurant sowie die technischen Simulationen in Vergnügungsparks, bei denen Virtual-Reality-Brillen eine Achterbahnfahrt vorgaukeln, noch als eine harmlose Variante der modernen Technik.